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Etappe 97 - Burgos nach Hontanas

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Ich schlafe heute tief und fest, hätte in der Früh auch durchaus noch eine Stunde länger liegen bleiben können; doch mit der neu geschöpften Kraft gilt es, in einen weiteren Pilgertag zu starten. Ich verabschiede mich bei der beeindruckenden Kathedrale von Burgos und verlasse die Innenstadt durch ein altes Stadttor.

Die gelben Pfeile des Camino führen mich zum Rio Arlandzon und durch den Park El Parral. Mitten in dem prächtigen Grün denke ich: Wäre so ein Stadteinlauf nicht gestern auch möglich gewesen?

Ich passiere die Universität von Burgos als es zu nieseln anfängt und kehre dann kurz in einer Bäckerei ein, um ein kleines Frühstück mitzunehmen.


Auf dem Weg aus der Stadt heraus bin ich bereits sehr nach innen gekehrt und reflektiere die letzten Tage, die Jakob und ich gemeinsam verbracht haben. Seine Frage „Konntest du bereits Schlüsse aus dem Pilgererlebnis ziehen, hast du etwas ‚gelernt‘?“ wirkt in mir nach. Ich denke über die Parallelen nach, die zwischen dem Weg und dem Leben herstellbar sind. Es gibt ein paar Dinge, die ich auf diesem langen Weg gelernt habe - ich möchte sie an späterer Stelle zusammengefasst teilen.


Zwischen den Brücken über die Autobahnzubringer entdecke ich etwas am Boden. Was hier wie ein modernes Kunstwerk aussieht, sind vom Regen aufgebrochene Algen in einer Lacke am Feldweg.

Nach etwa einenhalb Stunden komme ich in das Dorf Tardajos. Der Ortsname erinnert mich an die Bezeichung des tiefsten Teils der Unterwelt in der griechischen Mythologie, dem Tartaros.

Am Ortsende des nächsten Dorfes steht eine kleine Kapelle, deren Tore weit geöffnet sind. Obwohl ich geplant hatte, weiterzugehen, zieht mich ein Impuls zum Anhalten. Zunächst bin ich von der übermäßigen Beleuchtung und der kitschig abgespielten Aufnahme des „Ave Maria“ verdrossen, als eine herzige ältere Dame mich anspricht. Sie verhätschelt mich geradezu und erzählt mir allerlei Dinge auf Spanisch, von denen ich kein einziges Wort verstehe. Trotz der kitschigen Aufmachung wird der Besuch zu einem kraftspendenden Moment: Die Frau stempelt meinen Pass ab, gibt mir eine Kette mit einem winzigen Anhänger mit und segnet mich, indem sie mit ihrer Hand ein Kreuz auf meine Stirn zeichnet. Ich bin mir sicher, dass diese Geste der Nächstenliebe etwas mit jedem Menschen macht - völlig unabhängig davon, ob man an Gott glaubt. Direkt nach unserer Begegnung sperrt die Dame die Kapelle zu und ich setze meinen Weg innerlich gestärkt fort.

Der Camino führt nun in einer sanften Steigung zu einer Hochebene hinauf. Hier beginnt die sogenannte Meseta (spanisch „mesa“ bedeutet so viel wie Tisch oder Platte).

In einer leichten Senke dieser Ebene befindet sich der Ort Hornillos del Camino, den ich zur Mittagsstunde erreiche.

Am Hauptplatz des langgezogenen Dorfes entscheide ich mich spontan zu einer Rast und bestelle in der Bar ein kleines Bier. Während Freddie Mercury mit „Bohemian Rhapsody“ aus den überforderten Lautsprechern zu hören ist, sitze ich in der Sonne und realisiere deutlich, wie alleine ich jetzt unterwegs bin.

Ich schaue noch kurz in die Kirche, wo gerade Rosenkranz gebetet wird, und breche dann zu den letzten 11 Kilometern nach Hontanas auf. Ein Schotterweg führt mich wieder in die Hochebene hinauf. Währenddessen ziehen dunkle Wolken auf und erzeugen eine dramatische Zeichnung im Himmel.

Am Weg durch Hornillos habe ich mit einem asiatischen Pilger noch gescherzt, dass ein möglicher Regenschauer wohl kaum allzu heftig ausfallen würde; kaum eine Stunde später erfasst mich das triefende Nass.

Ich erreiche einen Wegstein, der die verbleibende Strecke nach Santiago mit unter 500km angibt. Direkt danach begegne ich einem Pilger, der in die entgegengesetzte Richtung unterwegs ist und mich fragt, wie weit es noch bis zur nächsten Ortschaft sei.

Die letzte Stunde bis zum Etappenziel wird zu einer fordernden Aufgabe. Als würde mich die, ein wenig gefürchtete Meseta hinsichtlich meines Durchhaltevermögens testen, ziehen weitere starke Regenschauer über mich hinweg. Der Wind peitscht mir die großen Tropfen ins Gesicht, das ich zeitweise zusätzlich mit der Hand abdecke und die gatschige Erde bleibt mir klumpenweise auf den Sohlen der Schuhe kleben.


Kurz bevor ich am Zielort eintreffe, lässt der Regen nach. Als wäre nichts gewesen reißt ein kleines blaues Himmelsfenster auf und Hontanas heißt mich willkommen.

Ich spüre, wie sich das Blasenpflaster durch die Nässe von meinem Fuß gelöst hat und ich bin über die heiße Dusche in einem wirklich ordentlichen Einzelzimmer sehr froh. Gerne hätte ich noch eine Stunde in dem neuen „SPA“-Bereich verbracht, doch dafür reicht die Zeit heute nicht mehr. Nach dem Wäschewaschen begebe ich mich während des nächsten heftigen Regenschauers in eine Bar und telefoniere mit Mama, Papa und Opa, ordne Fotos und bereite den Beitrag vor.


Abends sitze ich mit Petar, einem in Kitzbühel lebenden Ungarn, der heute unglaubliche 45km gegangen ist, und Siggi aus der Nähe von München am Tisch. Es ist ein feines Beisammensein. Nach dem Essen ziehe ich mich zurück, um mich meiner Reisedokumentation zu widmen und nun früh ins Bett zu kommen.




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