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Etappe 86 - Saint-Palais nach Saint-Jean-Pied-de-Port

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Der letzte Tag dieses Wegabschnitts beginnt mit einem kleinen Frühstück gegen halb 8. Etwa eine Stunde später verlassen wir das Hotel und treten ins Freie. Es fällt schwer, den richtigen Weg aus der Ortschaft heraus zu finden. Mehrfach wird der Kartenausschnitt im Wegführer studiert und die Richtung geändert. So fühlt sich der Start in den Tag ein wenig holprig an.


Eine unmarkierte Asphaltstraße führt aus der Ortschaft heraus und einen zunehmend steilen Anstieg hinauf. Meine Beine sind schwer und der Gang träge. Jakob scheint topfit zu sein und geht voraus.

Auf der Anhöhe bei Hiriburia erreichen wir eine starre Skulptur und lesen nach, dass es sich um den sogenannten „Stein von Gibraltar“ handelt. Er markiert seit 1964 den Ort, an dem die Jakobswege Via Podiensis, Via Lemovicensis und Via Turonensis aufeinandertreffen und von hier an gemeinsam Richtung Saint-Jean-Pied-de-Port verlaufen. Der Name hat nichts mit der südspanischen Stadt zu tun, sondern leitet sich vom altbaskischen „Chibaltarem“ (dt. Heiland, Erlöser) ab.

Zum wiederholten Mal schlagen wir die falsche Richtung ein und treffen einige Minuten später auf einen jungen Franzosen, der uns in ärmellosem Shirt und mit einem großen Rucksack bepackt entgegenkommt. Schon sein fragender Blick macht mir klar, dass wir umdrehen müssen. In einem kurzen, netten Gespräch erzählt uns der junge Mann, dass er grundsätzlich im Zelt schlafe, aber gestern sehr froh über die Pilgerunterkunft gewesen sei. Dort habe er zum ersten mal seit 3 Wochen warm geduscht!

Wir halten an um zu trinken und die Westen im Rucksack zu verstauen, und gehen dann zu zweit einen tollen Schieferplattenweg bergauf. Um uns herum sind Schafsherden zu sehen und das Bellen der Hüterhunde zu hören. Die Wolkendecke reißt auf und es entsteht eine großartige Lichtstimmung.

Im „richtigen“ Licht und mit dem entsprechenden Gefühl kann die Welt so anders aussehen (als gestern). Das hat das auch mit der eigenen Einstellung und der Bereitschaft, solche Momente wahrzunehmen, zu tun.

Wir erreichen eine Anhöhe, wo die, von einem Baumkreis umrahmte ‚Chapelle de Soyarza‘ steht. Es ist ein großartiger Platz mit toller Aussicht über das hügelige Umland. Wir setzen uns auf eines der Bankerl und genießen das Sonnenfenster, das sich beinahe magisch über uns offnet. Überall ziehen schwere Wolken herum und schaffen eine dramatische Himmelszeichnung. Das Gefühl der Sonne auf der Haut ist umso mehr ein besonderer Genuss, wenn man die Erfahrung von trüben Tagen gerade gemacht hat. Der Kontrast erinnert mich an Ostern.

Nachdem der Moment in vollen Zügen ausgekostet ist, ziehen wir dankbar weiter und kommen durch ein stilles, kleines Dorf mit dem Namen Harambeltz, an dessen Ende eine alte Kirche steht. Die Ruhe, die der angrenzende Friedhof ausstrahlt ist ein wenig unheimlich.

In einer der folgenden baskischen Dörfer werde ich auf das spezielle Aussehen der Häuser aufmerksam. Die freiliegenden großen Ecksteine, die weiße Fassade und die wahlweise tiefroten oder dunkelgrünen Fensterläden sind typisch für das Baskenland.

Um die Mittagszeit wird es wieder zunehmend dunkler und kurz nach diesem Wegkreuz fängt es an zu regnen. Die Prozedur, über die Regenjacke noch den dünnen Poncho zu werfen, ist zwar geübt, aber dennoch eine koordinative Herausforderung.

Unter der fragenden Blicken dieser Einheimischen führt uns der Weg an großen Weiden vorbei und steigt langsam aber stetig an. Bald sind die Hände und Stöcke nass, und das Gefühl des nassen Schaumstoffs auf der Haut gefällt mir gar nicht.

Nach einenhalb Stunden Regenmarsch taucht am Wegesrand ein kleines Steingebäude auf. Auf einem Hinweisschild werden Pilger eingeladen, einzutreten und sich hier auszuruhen. Im Inneren des kleinen Shelters, der einmal eine Mühle gewesen sein dürfte, steht ein Jausentisch und sogar Betten. In einem dieser Stockbetten liegt der junge Mann, den wir bereits am Vormittag getroffen hatten.


Wir lachen gemeinsam über das herausfordernde und kühle Wetter und essen einen kleinen Snack. In der kostenfreien Unterkunft ist es zwar trocken, aber dennoch sehr kühl und wir entscheiden uns bald, den Weg fortzusetzen. Als dann noch eine eher aufdringliche deutsche Pilgerin den Raum betritt, sind wir kurz darauf alle drei gemeinsam wieder unterwegs.

Wir lernen den Franzosen Cyprill näher kennen und er fragt uns ganz offen, ob wir ein Stück gemeinsam gehen wollten. Wir freuen uns über die Gesellschaft des lustigen Pilgers und sprechen mit ihm über die Art, wie er den Jakobsweg bestreitet, und über die Besonderheiten des Baskenlandes. Ich erreiche die Ortschaft Saint-Jean-le-Vieux als Erster, nehme aufgrund des ähnlichen Namens fälschlicherweise an, bereits am Ziel zu sein und bestelle - wie zuvor ausgemacht - die erste Runde Bier für unsere kleine Pilgergruppe.

Nach der ersten Runde setzt erneut Regen ein, wir verkriechen uns ins Innere der charmanten Kneipe und so werden aus einer ein paar mehr Runden Bier. Wir - vor allem aber Cyprill - gerät in ein heiteres Gespräch mit der Kellnerin und Hausherrin, und ehe wir uns wehren können, stehen Schnapsgläser auf dem Tisch.

Wir lachen viel - untereinander, mit der Kellnerin und auch weiteren inzwischen eingetroffenen Gästen, und die Stunden vergehen wie im Flug. Zumindest fällt mir irgendwann noch ein, mich beim Vermieter der heutigen Ferienwohnung telefonisch zu melden und bekannt zu geben, dass wir „wetterbedingt“ etwas später eintreffen werden.

Sobald der Regen abgeklungen und das letzte Glas endlich ausgetrunken ist, nehmen wir die letzten Kilometer nach Saint-Jean-Pied-de-Port in Angriff.

Angeheitert und von einer schönen Abendstimmung getragen wandern wir leichtfüßig dem Etappen- und Abschnittsziel entgegen.

Bei diesem Anblick werde ich ein bisschen wehmütig und wünsche mir - trotz aller Strapazen der letzten Tage - den Weg gleich morgen fortsetzen zu können. Doch das Zeitfenster schließt sich: morgen fahren wir mit dem Zug nach Bayonne, um anschließend einen Flug von Biarritz nach Wien zu nehmen.

Auf der Suche nach unserer Ferienwohnung betreten wir im Stadtzentrum die bekannte Hauptstraße und staunen. In der engen, aus Filmen bekannten Gasse dreht sich alles um das Pilgern und den Jakobsweg. Unterkünfte aller Preiskategorien, Beratungsstellen, Pilgercafes und natürlich Ausrüstungs- und Souveniersgeschäfte reihen sich hier aneinander.

Wir freuen uns über die Waschmaschine in unserer geräumigen Unterkunft, duschen und ziehen mit trockenem Gewand wieder durch die Gassen. Gemeinsam mit Cyprill lassen wir einen sehr lustigen Abend ausklingen, essen Pizza, trinken Rotwein und strawanzen bis spät in die Nacht hinein durch die mittelalterlichen Gassen.

Am Ende baut unser französischer Freund sein Zelt heute Nacht nicht mehr auf, sondern schläft einfach bei uns in der Wohnung.

Mit Saint-Jean-Pied-de-Port haben wir die letzte französische Stadt in Frankreich und zugleich den Startpunkt des Jakobsweges, wie ihn die meisten Menschen gehen, erreicht. Für das Ziel diesen Abschnitts und den Beginn des nächsten Kapitels ist die Stadt also die logische und naheliegende Wahl. Ich bin schon gespannt, wie und wann sich der Rest des Weges zeitlich organisieren lässt und welche Abenteuer mich auf der Reise noch erwarten.


Danke, Jakob, für die standhafte Begleitung und die fröhlichen Abende, die wir verbringen durften! Es freut mich, dass Du selbst Gefallen am Pilgern gefunden hast, und meine Begeisterung für dieses Projekt jetzt noch besser nachempfinden kannst.

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