top of page

Etappe 85 - Navarrenx nach Saint-Palais

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Obwohl ich gestern bis spät in die Nacht hinein an Tastatur und Handy gehangen bin, um in nicht allzu großen Rückstand mit meinen Blogbeiträgen zu geraten, haben wir uns vorgenommen, heute besonders früh aufzustehen. Das liegt vor allem daran, dass für den Nachmittag kräftige Regenschauer angesagt sind und wir uns obendrein einen ziemlich langen Streckenabschnitt vorgenommen haben. Da sich die restliche Strecke bis zum Abschnittsziel in Saint-Jean-Pied-de-Port aufgrund der kleinen Siedlungen nur schwer teilen lässt, entscheiden wir uns für einen kleinen Umweg über das Städtchen Saint-Palais.


Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als wir Navarrenx durch das imposante Kasernentor verlassen. "Morgenstund' hat Gold im Mund", heißt es. Ich habe oft nicht die Motivation, früh genug auf den Beinen zu sein, doch heute wirkt die Stimmung magisch: Das Dunkel liegt noch im Schatten, die Farben der Häuser sind blass, aber der Himmel färbt sich feuerrot und ändert sich in seiner dramatischen Wolkenzeichnung von Minute zu Minute. Leider ist es schier unmöglich, dieses Farbenspiel der Natur auf einem Bild festzuhalten.

Bevor wir die dreibogige Brücke aus dem 13. Jahrhundert überschreiten begegnen uns die Figuren von zwei Pilgern samt der dazugehörigen Insignien. Nach einem kurzen Selfie übersetzen wir den Fluss Gave d'Oloron und navigieren dann zu einer Bäckerei. Ich kann den Tag einfach nicht ohne Frückstück beginnen.

Die Backstube liegt schmucklos an einer Durchzugsstraße, entpuppt sich aber als Glücksfund: Croissants und Pain-au-Chocolat sind noch warm und schmecken hervorragend. An einem "normalen" Tag hätte man mit 3 oder 4 großen Croissants bereits den halben Tageskalorienbedarf gedeckt - hier kann man sich das aber problemlos gönnen.

Nun starten wir in einen weiteren Pilgertag. Auf Asphaltwegen passieren wir Bauernhöfe und erwandern kleinere Ortschaften, in denen der Schultag gerade beginnt. Eltern verabschieden ihre Kinder und die laufen anschließend in den lärmenden Schulhof ihren Freunden entgegen. Nach etwas mehr als einer Stunde biegen wir in den Wald ab und entfernen und für einige Zeit von der Zivilisation.

Der kühle und schattige Wald lichtet sich immer wieder und wir erreichen Weide- und Wiesenflächen. Hier wurde kürzlich gemäht, es riecht wunderbar nach Blumenwiese und noch nicht ganz trockenem Heu. Ich nehme die Gerüche sehr bewusst und intensiv wahr. Dabei denke ich an ein Buch, das ich vor ein paar Jahren gelesen habe: "Wir riechen besser als wir denken". Es ist ein evolutionär alter, und mit Emotionen assoziierter Teil unseres Gehirns, in dem Gerüche verarbeitet und gespeichert werden, war in dem Buch zu lesen, kann ich mich erinnern. Dieser Geruch von frisch gemähter Wiese weckt bei mir schöne Kindheitserinnerungen. Ich denke an Zuhause und wie gerne ich beim Rasenmähen geholfen habe, und ich denke an einen Bergbauernhof bei Oberwölz, wo wir früher ganz oft unseren Urlaub verbracht haben. Der Stall, das alte Bauernhaus, die Ferienwohnung, das 'Heugen' und die langen Bergtouren mit guter Jause, all das kommt mir in den Kopf. Ich denke an Stefan, der Segelflugzeuge selbst gebastelt hat, an Juli, die das beste Bauernbrot gebacken und Heidelbeerstrudel gezaubert hat und an Josef, der zu jeder Zeit gut gelaunt war und uns Kinder mit dem Traktor mitgenommen hat. Ich bin für die vielen wunderbaren Erinnerungen sehr dankbar!


"Das Glück lässt sich am liebsten dort nieder, wo es mit offenen Armen empfangen wird."

Mamas Titel über einem gemeinsamen Foto in Oberwölz


Als wir einen markanten Hügel erreichen, der außerdem mit einem Steinkreuz gekennzeichnet ist, treffen wir ein paar weitere Pilger. Es ist ein schöner Ort zum Rasten, Innehalten und den Ausblick genießen.

Kurz bevor wir den Fluss Saison überqueren, verfinstert sich der Himmel, der Wind frischt auf und wir spüren, dass der Regen wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Das Baskenland, das wir mit dem Überschreiten des Flusses nun betreten, empfängt uns also mit rauhem Wetter.

Während sich die dunklen Wolken zusammenbrauen, wird gerade ein Maisfeld gedroschen. Bei dem Anblick drängt sich eine Erinnerung aus den ersten Klassen im Gymnasium auf. Damals haben wir mit unserem Musiklehrer, einem grauen Herrn in Anzug und mit widerspenstigen Augenbrauen, unter anderem den Kanon "Hejo, Spann den Wagen an" gesungen. Sieh, der Wind treibt Regen übers Land...

Schon bald ist uns deutlich zu kalt. Wir stellen uns in einer kleinen Bushaltestelle unter, und ziehen uns warm und winddicht an.

Kurz darauf beginnt es wie aus Kübeln zu regnen. Als mir gerade ein wenig der Spaß an der Situation abhanden kommt, fängt mich mein Freund und Begleiter auf und dreht die Stimmung ins Lustige. Egal, wir gehen einfach trotzdem weiter, denken wir uns. Mit dieser Einstellung sind wir nicht die einzigen.

Für den Rest des Tages bleibt das Wetter kühl und windig, von Zeit zu Zeit ziehen kleinere Regenschauer vorüber. Die Routenführung ist abwechslungsreich und wir wünschen uns besseren Weitblick, um den Gebirgszug der Pyrenäeen besser sehen zu können.

Als ich beim Schreiben des Blogbeitrages nachlese, erfahre ich, dass dieser Streckenabschnitt UNESCO Weltkulturerbe ist und als einer der schönsten Streckenteile in Frankreich gilt. Das hilft alles nichts, wenn man nicht den besten Tag erwischt - doch auch das gilt es zu akzeptieren.

Selbst mein trainierter Freund Jakob gibt heute zu, ziemlich müde zu werden. Der Umstand ist nicht sonderlich überraschend, sind wir doch bald 10 Tage mit ziemlich großem Tagespensum unterwegs. Die Gegend, die wir Mitte Nachmittag durchwandern, wurde offenbar von starken Unwettern heimgesucht. Jedenfalls dürfte die Energie- bzw. Stormversorgung unterbrochen und durch diese Notstrom-Dieselaggregate ersetzt worden sein. Dass wir heute an den eigenen Energiereserven zehren merken wir auch, als uns die Kühe auf dem Weg zur Weide mit flottem Tempo vorantreiben und beinahe überholen...

Spätnachmittags halten wir die Pausen kurz und freuen uns sehr auf das Ankommen. Insbesondere die letzten Kilometer ziehen sich dahin und das Gehen entlang dieser stark befahrenen Straße macht mir wirklich keinen Spaß mehr. Das Foto spiegelt die Gefühlslage gut wieder.

Was in Kärnten so viele Jahre Anlass für politisches Hick-Hack und sinnlose Diskussionen gegeben hat, ist hier völlig normal: zweisprachige Ortstafeln. Im französischen Teil des Baskenlandes spricht noch etwa ein Drittel der Bevölkerung Baskisch. Das Land wurde vom römischen Imperium weitgehend verschont und so haben die Basken ihre Sprache über 2500 Jahre gegen die indogermanischen Sprachen der Nachbarländer behauptet.

Leider ist mit der Ortstafel unser Tagesziel immer noch nicht erreicht. Die Siedlung erstreckt sich über eine große Fläche und so trotten wir mit schmerzenden Fußen der Straße entlang Richtung Zentrum.

Ich organisiere im Pilgerzentrum einen Stempel für den Pass und wir gehen die letzten Meter bis zu unserem Hotel, das direkt am Hauptplatz liegt. Die Zimmer sind ein wenig in die Jahre gekommen und die Textilien müffeln ein wenig, doch der Ausblick auf den ruhigen Hauptplatz ist schön.

Nach Körperpflege und einem Einkauf im Greissler lassen wir uns in einem Weinlokal direkt neben unserem Hotel nieder und genießen dort ein ausgesprochen gutes Abendessen. Das Lokal ist stolz auf eine große und ausgewählte Sammlung von Weinen - und wir sind in der Stimmung, einige davon zu probieren. Nach den Strapazen der letzten Stunden kehrt das Lächeln und Lachen wieder zurück. Wir trinken einen hervorragenden Rotwein und folgen fasziniert dem Viertelfinale der Rugby-Weltmeisterschaft. In dem Spiel scheidet der Gastgeber Frankreich knapp gegen den späteren Weltmeister Südafrika aus.

Ein langer Tag mit schwierigen Bedingungen geht spätabends zu Ende. Erschöpft und müde, aber glücklich schlafen wir ein.


24 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


© 2023 by NOMAD ON THE ROAD. Proudly created with Wix.com

bottom of page