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Etappe 84 - Arthez-de-Bearns nach Navarrenx

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Die Airbnb-Wohnung, in der wir nächtigen, liegt abseits der Straße und im Schatten alter Bäume. Entsprechend angenehm verläuft die Nacht. Als wir vor die Türe treten, die Rucksäcke schultern und uns verabschieden, ist es kühl und feucht. Offenbar haben wir den nächtlichen Regen nicht bemerkt.


Wir verlassen die Ortschaft mit dem klingenden Namen Richtung Westen und wandern bald auf einem unbefestigten Güterweg dahin. Schon sehr bald spricht uns eine Pilgerin mittleren Alters an, doch ich spüre, dass ich für den Smalltalk der aufgeregten Amerikanerin nicht wach genug bin. Ihre etwas belehrende Art legt nahe, wovon sie später auch erzählt: Sie ist Lehrerin.


Heute früh genießen wir lieber die nass-kühle und ruhige Morgenstimmung, gehen schweigend nebeneinander her und staunen über den Blick auf die Pyräneen. Die Weitwinkel-Linse der GoPro lässt die Gebirgskette auf den Fotos leider ein wenig im Hintergrund verschwinden.

Die Route führt über abwechslungsreiches Terrain, ein wenig hügelauf und dann hauptsächlich in eine Senke bergab. Wie bereits öfters beschrieben, stellt sich bei mir unterhalb von großen Stromleitungen ein eigenwilliges Gefühl ein. Man nimmt ein Knistern, Summen oder Brummen wahr und auch die Luft fühlt sich eigenartig aufgeladen an. Außerdem denke ich darüber nach, wie wichtig diese Versorgungsleitungen für unser modernes Leben geworden sind - wie abhängig wir davon sind.

Sonnenstrahlen kämpfen sich nur sehr zögerlich durch die Wolkendecke und die Luft fühlt sich schwer an. Am Wegesrand und in den Gärten stehen Sonnenhüte und Dahlien als Überbleibsel des Sommers.

Besonders beeindruckt sind wir beiden Hobbygärtner von einer farbintensiven Sanddornhecke, die sich über etwa 30 Meter erstreckt.

Bei Argagnon übersetzen wir die Verkehrsinfrastruktur, Autobahn, Zuggleise und den Fluss Ousee. In diesem breiten Tal verlaufen die Verbindungen zwischen den bekannten Städten Orthez und Pau.

Hinter den Pulsadern des Tals liegt die Ortschaft Maslaq. Hier finden wir eines der parkplatzartigen Spielfelder mit einer großen Wand auf einer Seite. In meinem wegbegleitenden Büchlein lesen wir, dass es sich um Spielplätze des alten, typisch baskischen Spiels Pelota handelt. Das Spiel funktioniert ganz ähnlich dem modernen Squash und kann von zwei Einzelspielern oder auch Mannschaften gegeneinander gespielt werden. Der verwendete Lederball mit einem Holzkern wird heute mit einem Schläger an die Wand geschlagen, früher spielte man den Ball allerdings mit der bloßen Hand gegen die Wand. Martialische Randnotiz: Sie Spieler versuchten, den Blutstau in ihren geschwollenen Händen zu verringern, indem sie mit Rasiermesserklingen Einschnitte in ihre Handrücken setzten! Diese brutale Praxis wurde im Laufe der Zeit verboten.

Die Sportanlagen und deren Eingänge haben in Maslaq die beste Zeit bereits hinter sich. Auf dem Rasen steht statt einer trainierenden Fußballmannschaft ein Schwarm weißer Reiher und zupft Regenwürmer aus der Erde.

Nach einer Trinkpause setzen wir den Weg fort. Inzwischen sind die Wolken der kräftigen Sonne gewichen und es ist wieder warm geworden. Wir lassen die Industrieanlagen des Tals hinter uns und trotten dann in gewohnter Manier zwischen den Maisfeldern südwärts. Unser Gespräch dreht sich um Influencer und Onlyfans - kurz: "was die Leut aufführn' für des depperte Geld".



"Es is doch ganz was andres, was zählt."

Wolfgang Ambros - A Mensch möcht' i bleibn


Wir steigen ein paar steile Höhenmeter aufwärts und können auf die Ebene zurückblicken. Ein Wegweiser zeigt die Strecke und geschätzte Gehzeit bis zu unserer Mittagsrast in Sauvelade an - dahinter wachsen üppige Bananenstauden.

Licht und Schatten wechseln auf den Naturpfaden zwischen den Bauernhöfen. Einen traurigen und beschämenden Anblick bieten die Tunnelzelte und beinahe schattenlosen Gehege von Enten. Als wir hier vorbeikommen denke ich: Diese Zustände werden nicht sichtbar, gehören aber zu unserer Art der Fleischindustrie dazu. Mein Eindruck ist aber auch: In Frankreich wird das Tierwohl merklich weniger ernst genommen als zu Hause in Österreich.

Die Speicher der Höfe sind für den Winter gut gefüllt und vorbereitet. Direkt daneben macht ein Meilenstein auf die restliche Strecke bis Santiago aufmerksam: noch 900km.

Um die Mittagszeit erreichen wir Sauvelade, das aus nur wenigen Häusern und vor allem der Ziszerzienserabtei besteht. In dem Bereich, wo früher der Friedhof war, lassen wir uns im Schatten der Büsche nieder, um uns bei Dosensalat und Brot zu stärken. Eine versammelte Jägerschaft und weitere Arbeiter nutzen einen Rastplatz am naheliegenden Bach ebenso für ihre Mittagspause. Die Jagdhunde sind unruhig und bellen laut in ihren Zwingern auf den Pickup-Wägen.

Während Jakob sich noch einige Minuten zur Ruhe legt, breche ich auf und betrete die Abteikirche. Eine aufwändige Lichtinstallation erzählt von der Geschichte des Klosters und ich lese mangels ausreichender Französischkenntnisse in dem Wegbegleitbuch nach. Die Abtei wurde urspünglich von Benediktinern 1127 gegründet, schloss sich aber etwa 100 Jahre später dem Zisterzienserorden an. 1569 von den Hugenotten zerstört, wurde die Abtei bis ins 17 Jahrhundert wieder aufgebaut, restauriert und in Betrieb genommen, bis es während der französischen Revolution mangels Nachwuchs leider vollständig aufgegeben wurde.

Ich komme in einen guten Rhythmus, erklimme einen kleinen Hügel und finde dort einen Rastplatz im Wald. Die Gestaltung dürften hier einige Hippies übernommen haben: Es gibt jede Menge Schaukeln und sogar ausgesessene Ledersofas.

Die nächste Hügelkuppe ist frei von Bäumen und lässt den Blick in die Weite gleiten. Eine große Kuhherde samt vieler Kälber und ein gepflegter Bauernhof geben ein idyllisches Landschaftsbild ab.

Ich passiere den schönen Rastplatz neben der efeuberankten Scheune und werde vom Bauern gegrüßt.

Ein alter, roter Kater erweckt meine Aufmerksamkeit und ich mache kurz Halt. Da bin ich also doch mehr und mehr Tierfreud geworden, denke ich mir. Abgelenkt von dem betagten Rotfell holt mich Jakob ein, der auf dem Weg Mathilde wieder getroffen hat. Sie ist in Eile, weil sie am heutigen Etappenziel bereits eine Massage für 16 Uhr ausgemacht hat.

Bald zerstreuen wir uns wieder, jeder in seine Gedanken vertieft. Jakob sorgt sich um seine Hunde, telefoniert nach Wien und Mathilde eilt uns voraus. Dieses Zusammenkommen und wieder Auseinandergehen fühlt sich manchmal komisch an. Ich denke, das liegt wohl daran, dass man grundsätzlich erwartet 'gemeinsam zu gehen', wenn man mit einem Freund oder Bekannten unterwegs ist und dabei auch manchmal das Tempo anpasst, um Schritt halten zu können. Eigentlich ist es aber völlig natürlich, dass sich die Reisegeschwindigkeit immer wieder ändert. Die eigene körperliche Verfassung, die Tagesform, die Stimmung und oft auch der Wunsch, in sich zu gehen verlangt nach Ruhe und dem ganz eigenen Rhythmus. Umso schöner ist es aber, sich später über das Erlebte zu unterhalten.


Ich stelle fest: Begleiter und Freunde sind auf dem Weg und im Leben etwas besonders wertvolles. Die Schritte auf dem Weg muss man allerdings selbst und alleine machen.

Ab Meritein gehen wir den letzten Tageskilometer wieder gemeinsam und erreichen Navarrenx.

Der Name des ca. 1.000 Einwohner zählenden Ortes geht zurück auf das alte Königreich Navarra. Die Stadt mit dem märchenhaften Namen wurde 1078 erstmals erwähnt und im 14. Jhdt. zu einer Bastide - der ersten auf französischem Boden - ausgebaut. Die teils gut erhaltene Stadtmauer, die rechtwinkeligen Straßenzüge und der zentrale Platz vermitteln auch heute noch ein mittelalterliches Gefühl.

Während Jakob einkaufen geht, mache ich einige Fotos von den beeindruckenden Befestigungsanlagen, schaue mir das Pulvermagazin und die monumentale Port Saint-Antoine am Kasernenplatz genauer an. Wir treffen uns wieder auf das Stadtmauer und finden ein Bankerl mit Blick auf das Stadttor und den Fluss Gave d'Oloron. Hier stoßen wir mit einem Dosenbier an und genießen jeden Sonnenstrahl dieses herrlichen Spätnachmittags.

Das Hotel mit einem geräumigen Zweibettzimmer im Dachgeschoß bietet einen Blick über den Kasernenplatz, aber heute kein Abendessen an. So brechen wir wenig später nochmals zu einem Abendspaziergang durch die Stadt auf.

Am Hauptplatz nebst der Kirche finden wir ein kleines Bistrot und werden vom wohl besten Abendessen der letzten Tage überrascht. Nach dem Essen geraten wir in ein Gespräch mit einem pensionierten Lehrer aus Südbayern, der mit seinem Fahrrad unterwegs ist. Der Alleinreisende erzählt von einer Vielzahl an langen Touren, die er bereits gemacht und die Foto-Vorträge, die er darüber gehalten habe. Irgendwie komisch, wie sehr er sich über die Likes seiner Bilder in sozialen Medien freut, denken wir uns beide, als wir wieder Richtung Hotel gehen. Jemand, der so viel unterwegs ist, hat doch meist einen ganz anderen inneren Antrieb? Vielleicht sind wir auch schlicht nicht darauf zu sprechen gekommen, oder er wollte es auch nicht erzählen, denke ich mir.


Bonne Nuit aus der Bastide Navarrenx!



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