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Etappe 83 - Arzacq-Arraziguet nach Arthez-de-Bearn

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Um 5 Uhr weckt uns der Mistkübel-LKW, der vor dem kleinen Gasthaus Halt macht. Ob das um diese Uhrzeit bei der Größe und Geschäftigkeit der Ortschaft nötig ist, frage ich mich schon. Eine Stunde später beginnen die Traktoren über die Hauptstraße zu rollen. Na gut, dagegen können wir wirklich nichts sagen.


Gegen 7 Uhr holen wir ein vorbereitetes Tablett in unser Zimmer, denn das reguläre Frühstück beginnt erst um 08:30. Zu dieser Zeit wollen wir bereits unterwegs sein.


Ich erweitere das kleine Frühstück und hole mir herrlich frische Pain du Chocolat aus der Boulangerie gegenüber. Die Tatsache, dass in der Bäckerei Zigaretten verkauft werden, passt so gar nicht ins Bild.


Pünktlich um 8 Uhr nehmen auch einige andere Pilger zeitgleich mit uns ihre Tagesetappe in Angriff. Rund um den naheliegenden See bilden sich kleine Grüppchen von Wanderern. Wir genießen die frühen Morgenstunden des Gehens heute bei toller Lichtstimmung ganz besonders. Ein Einheimischer kommt uns entgegen und sorgt für Erheiterung: Statt mit seinem Hund wird er auf seinem Morgenspaziergang von zwei Ziegen begleitet, die ihm zielstrebig folgen.

Die ersten Tageskilometer bestreiten wir gemeinsam und finden uns dabei - wie auch an den letzten Tagen so oft - zwischen ausgedehnten Bohnen- und Maisfeldern.

Immer wieder ergibt sich nun ein grandioser Blick auf die Pyräneen, auf die wir uns langsam zubewegen. An dieser Stelle bin ich sicherlich nicht der erste, der für ein Foto stehen bleibt.

Die kleinen Grüppchen von Pilgern zerstreuen sich bald zu einer losen Kette und nach einer ersten kurzen Trinkpause geraten die anderen bald außer Sichtweite. Viele der einst herrschaftlichen Höfe sind verfallen, doch einige wenige werden erhalten und sehen entsprechend stattlich aus.

Am ersten Anstieg gehe ich Jakobs sportliches Tempo nicht mit und falle ein wenig zurück. Die Grande Route 65, mit der sich der Jakobsweg weiterhin deckt, führt uns auf ein kleines Hochplateau mit Viehweiden und einem großartigen Ausblick. Diese Fernsicht ist nach den letzten Tagen des häufigen Auf und Ab ein Genuss.

Bei einer kurzen Trinkpause komme ich mit einem älteren, aber rüstigen Pilger ins Gespräch. Er ist von Beginn an sympathisch, wechselt gerne ins Englische, was eine Kommunkation erst möglich macht, und erklärt dann, dass er Amerikaner ist.

Wir setzen unseren Weg gemeinsam fort und kommen rasch in ein Gespräch, das in die Tiefe führt. Abgelenkt von der Konversation fallen die Anstrengungen leicht.

Wir sprechen über seinen ehemaligen Beruf als Staatsanwalt im Bereich der Umweltvergehen (beinahe hätte ich Umweltsünden geschrieben...), über meinen Auslandseinsatz im Kosovo, den Umgang und die Vermischung verschiedener Ethnien, die Jägerschaft und natürlich über den Jakobsweg.

Fragen der Politik, an denen man sich rasch sattsieht, weshalb ich sie für gewöhnlich meide, kommen auf eine unbeschwerte Art und Weise ebenso zur Sprache. Die Weitsicht dieses weltoffenen Herren schätze ich. Er erinnert mich in seiner Eigenschaft, auch der jungen Generation ernsthaft zuzuhören und ehrliches Interesse zu haben, an meinen lieben Opa Hermann.

Durch den Umstand, dass er in der Rechtssprechung auf das Gebiet des Umweltschutzes spezialisiert ist, kennt er sich mit einigen Bereichen der Landwirtschaft gut aus. Er erklärt mir, dass das obere Drittel der Maispflanze abgeschnitten wird, um es als frisches Tierfutter zu verwenden. Die Ernte der Maiskolben würde dadurch nicht beeinträchtigt, meint er.

Nach über zwei Stunden hält Mr. Thomas an, um seine Füße zu pflegen und einer Blase vorzubeugen. Ich bedanke mich für das gute Gespräch und die fröhliche Begegnung, und wandere endorphingeladen in Richtung Mittagspause.

Im kleinen Dorf Pomps wartet Jakob auf mein Eintreffen. Wir gehen ein paar Schritte zur Epicerie, wo auch ein Rastplatz zu finden ist und er erzählt, sich am Vormittag auf das Sportliche konzentriert zu haben. Ich nehme einen Mittagssnack zu mir, tausche mit dem ebenfalls eingetroffenen Herrn Thomas Kontaktdaten aus und er macht uns gleich mit der Französin Mathilde bekannt, die als eine der wenigen in unserem Alter zu sein scheint. Gemeinsam brechen wir in der Mittagshitze auf, um Arthez-de-Bearn zu erreichen. Mathilde erzählt uns, dass sie Anfang des Sommers ihren Job aufgegeben hat, und nun selbst ein Jahr Auszeit organisiert, um in einem neuen Lebensabschnitt Fuß zu fassen. Ich finde das ziemlich mutig.

Wenige Kilometer vor unserem Zielort Arthez-de-Bearn trennen sich unsere Wege. Jakob und ich sprechen über die unterschiedlichen Beweggründe für eine solche Pilgerreise und ich zitiere meine Bekanntschaft vom Vormittag mit dem Satz "Everybody has their own story!".

Der letzte Kilometer nach Arthez führt uns eine Asphaltstraße hinauf und wir kommen ordentlich ins Schwitzen. Es sollte nicht der mühsamste Streckenabschnitt des Tages bleiben.

Arthez-de-Bearn präsentiert sich als charmantes Dorf mit 1.800 Einwohnern. Leider fehlt der Siedlung mit tollem Blick auf die Pyräneen ein erkennbarer Ortskern oder ein Hauptplatz. An der Durchzugsstraße befindet sich diese Zapfhahnanlage, die schon länger nicht mehr in Betrieb gewesen sein dürfte.

Für die heutige Nacht haben wir eine kleine Air-BnB Wohnung am Ortsrand gemietet. Da wir uns dort selbst versorgen müssen, orientieren wir uns zum Supermarkt, der in eine andere Richtung außerhalb der Siedlung liegt. Die Strecke dorthin frustet mich: 20 Minuten entlang einer stark befahrenen Landstraße samt Güterverkehr kann und sollte man sich nach 30 Tageskilometern sparen. Beim Supermarkt Carrefour nutzen wir die überraschende Möglichkeit, unsere Wäsche zu waschen und gehen in der Zwischenzeit einkaufen.

Ein zweites Mal quälen wir uns der Landstraße entlang nach Arthez-de-Bearn zurück und spazieren dort durch den Ort. Neben der schmucklosen Kirche trumpft die Statue dieses Kriegerdenkmals über der Landschaft.

Auf einer der Seitenwände der Kirche ist diese schematische Darstellung der verschiedenen verlängerten Jakobswegrouten zu finden. Schade, dass die Schweiz und Österreich nicht abgebildet sind, denke ich mir.

Unsere Gastgeber, eine nette Jungfamilie, empfängt uns und zeigt uns die zweckmäßige Wohnung in einem renovierten Nebengebäude. Wir kochen Pasta und trinken einen sehr feinen Rotwein aus der Gegend um Bordeaux. Das französische Fernsehen sorgt mit einer überzeichneten Telenovela für eine heitere Stunde und vor dem Schlafengehen bekommen wir noch einen schönen Sternenhimmel zu sehen. Da waren ein paar mühsame Momente dabei, doch am Ende des Tages "passts scho". Wir sind zufrieden und müde nach fast 35km Strecke.


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