Unser Tag beginnt heute im grünen Frühstückssalon, der nur für uns zwei gedeckt ist. Wir bekommen währenddessen von der sympathischen Gastgeberin einen Pilgerstempel und den Tipp, heute eine kleine Abkürzung auf unserem Weg zu nehmen.
Auf den ersten Metern prüfe ich, wie es um meinen Bewegungsapparat bestellt ist: alle Lämpchen leuchten grün auf - los gehts! Wir folgen einer Straße bergauf und kommen an der Abteikirche Sainte-Quitterie vorbei. Neben der Kirche befindet sich eine Schule, vor der sich die Jugendlichen gerade treffen.

Ich nehme mir die Zeit, um einen Blick ins Innere der Abteikirche zu werfen. Das Gebäude wurde urspünglich im 11. Jahrhundert erbaut und beherbergt die Gebeine der heiligen Quitteria in einem Mamorsakopharg. Das Haus ist heute nicht im besten Zustand, die Feuchtigkeit nagt am Innenputz.

Wenig später liegt der Stausee Lac du Broussau in toller Morgenstimmung vor uns. Drei ältere Damen starten soeben ihren Tagesausflug und wünschen uns "Bonne Chemin!".

Informationstafeln zeigen die im Wasser befindlichen Fische und wir raten einigermaßen stümperhaft anhand der Abbildungen, um welche Spezies es sich handeln könnte.

Es folgt ein Tag mit langen Geraden zwischen gigantischen Maisfeldern. Zum ersten Mal wird bei klarer Sicht in der Ferne die Silouhette einer Gebirgskette erkennbar. Es ist ein herrlicher erster Blick auf die Pyränen, den die Weitwinkelkamera allerdings leider nicht einfangen kann.

Wir verteiben uns die Monotonie der langen Asphaltgeraden mit einem angeregten Gespräch. Die tief verankerten Erinnerungen an Kindheitsbücher- und Filme beschäftigen uns und wir lassen Szenen aus "Pippi Langstrumpf", "Michel von Lönneberga", "Ronja Räuberstochter", "101 Dalmatiner", "Aristocats" und "Asterix & Obelix" wieder aufblühen. Ich nehme mir vor, einige der zeitlosen Klassiker in der kalten Jahreszeit wieder einmal anzuschauen.

Verlassene, und zum teil stark verfallene Höfe säumen den Weg durch eine kleine Hochebene. Irgendwann weisen uns die Wegmarkierungen nach rechts und wir biegen endlich von der Asphaltstraße auf einen Feldweg ein.

So wie ein älteres Pärchen vor uns wandern wir heute gemeinsam über Stock und Stein, über die Brücke oder auch durch die Furt hindurch.

Mir fällt auf, dass sich die Art der Fassaden wieder einmal zu ändern beginnt. Hier sind häufig runde Steine nach außen sichtbar in säuberlichen Reihen aufeinander geschlichtet.

Viele der Maisfelder stehen noch, doch mancherorts liegen schon die Erntereste am Boden. Ich frage mich, wie viel klimatisch bedingter Unterschied in dem landwirtschaftlichen Rhythmus zu Österreich besteht.

Zur Mittagsstunde kommen wir im Dorf Miramont-Sensaq an und setzen uns an einen Tisch vor einem kleinen Cafe. Es dauert eine ganze Weile bis der Wirt Zeit hat, unsere bescheidene Bestellung aufzunehmen. "Doux petit biere s'il vous plait..", bringe ich gerade so zustande.

Hinter der Ortschaft nehmen wir die morgens empfohlene Abkürzung und wandern durch eine Senke, um einen kleinen Bach zu überqueren.

Kräftiger Wind kommt auf und macht die warmen Temperaturen erträglich. Wir beide schließen die Augen, strecken die offenen Arme zur Seite und genießen die Vorboten des Herbst, der die ersten trockenen Blätter von den Bäumen löst.
Hinter dem Bauernhof "de Marsan" stoßen wir wieder auf den Hauptweg und freuen uns über einen abwechslungsreichen Streckenabschnitt. Leider macht sich langsam aber hartnäckig ein ziehend-brennender Schmerz auf der Außenseite meines linken Knöchels bemerkbar. Meine Schritte mit dem linken Bein werden zögerlicher und ich beginne, mir Sorgen zu machen.

Die Ankunft im Dorf Pimbo auf einer Anhöhe ist ein willkommener Zeitpunkt, eine weitere Rast einzulegen. Am Ende dieser Straße liegt die romanische Kirche Saint-Barthelemy, die auf das 12. Jahrhundert zurückgeht.

Karl der Große soll hier im Jahr 778 auf dem Rückweg von einem Feldzug in Spanien eine Benediktinerabtei gegründet haben, die später während der Hugenottenkriege zerstört wurde. Heute zählt die Siedlung wenige bewohnte Häuser und gerade einmal 200 Einwohner.

Wir freuen uns, dass es ein Pilgercafe mit Aussichtsterrasse und obendrein einer hübschen Kellnerin gibt, setzen uns und genießen den Moment.

Vom Hügel der ehemaligen Bastide wandern wir steil bergab und danach großen Agrarflächen entlang wieder aufwärts. Asphaltstrecken haben wir heute zur genüge bewältigt, wir freuen uns auf das Etappenziel.

Kurz vor der Kleinstadt mit dem unaussprechlichen Namen passieren wir einen, vom Efeu besonders schön verwachsenen Hof. Auf der Tafel ist das verbleibende Pensum abzulesen: 924km sind es noch bis nach Santiago de Compostella!

Arzacq-Arraziguet ist bei unserer Ankunft in das warme Licht der tief stehenden Herbstsonne getaucht. Wir finden rasch das einzige geöffnete Hotel und beziehen unser Zweibettzimmer. Die Bezeichnung "ansprechend" lässt die Erwartungen ziemlich tief sinken, und die Beschilderung außen ist schon lang abgeblättert - doch zumindest ist das Zimmer sauber.
Eine Dusche und ein Provianteinkauf später schlendern wir ein paar Schritte durch die Ortschaft. Der Hauptplatz sieht wirklich schön aus, doch leider sind alle Cafes und Restaurants geschlossen. Der Rapper Monobrother gibt uns an diesem Abend die treffende Textzeile vor: "Es san scho olle wegzogn'".

Nach dem fehlgeschlagenen Versuch, ein Restaurant zu finden, kehren wir zum offenbar wirklich einzigen Gastbetrieb zurück, der offen hat. Das Wirtshaus bietet ein alternativloses Abendmenü, sauren Rotwein, einen Kellner, der wirklich wenig Interesse zeigt und eine Chefin, die während dem Abendessen mit Shots und Zigaretten im Hinterzimmer sitzt. Ich mag nicht zu viel meckern: wir sind satt geworden und haben uns trotz allem eine gute Zeit gemacht.
Bonne Nuit!

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