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Etappe 80 - Eauze nach Nogaro

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Die Nacht in der Erdgeschosswohung ist überschaubar erholsam, denn ein Lüften ist in dem ehemaligen Verkaufslokal nicht möglich. Wir beginnen den Tag mit außergewöhnlich guten Croissants von der Patisserie nebenan und gehen dann die wenigen Schritte zum Hauptplatz zurück. Auf der Steintafel im Brunnen ließe sich das Rezept für den aus der Region stammenden Armagnac-Weinbrand lesen, erfahren wir in dem Wegfüher von Hartmut Engel.

Unsere Tagesetappe beginnt nach einem Espresso im Cafe de France, das wir gestern schon besucht haben. Nachts hat es geregnet und unter dem bedeckten Himmel ist es frisch geworden.

Als wir gerade einen guten Tritt gefunden haben, hören wir jemanden rufen. Der Angestellte einer Versicherung macht uns von seinem Büro aus darauf aufmerksam, dass wir im Ortsausgang gerade die Abzweigung zum GR65 verpassen. Mit meinen dürftigen drei Worten Französisch bedanke ich mich und wir freuen uns über die Aufmerksamkeit des Einheimischen. Kurz darauf liegen die Häuser von Eauze hinter uns und eine Informationstafel gibt Auskunft über die nachfolgende Streckenführung.

Der sandige Untergrund ist vom Regen aufgeweicht und bleibt an den Schuhen kleben. Ohne es abgesprochen zu haben, geht jeder von uns sein Tempo und wir entfernen uns ein wenig von einander.

Die Route verläuft durch sanft-hügelige Weinberge und an alten Bauernhöfen vorbei. Da Zeit der großen Blüte vorbei ist und der Herbst langsam spürbar wird, freut sich das Auge besonders über Farben wie diese.

Ich gehe allein voraus und erwarte den mir bekannten, meditativen Gedankenfluss, den ich von den bisherigen Pilgerabschnitten insbesondere vom Alleinegehen kenne. Doch der Zustand will sich nicht so recht einstellen: Zu oft drehe ich mich um, um zu sehen, wo Jakob ist und die Gedanken springen unruhig hin und her. Da braucht es wohl noch ein wenig Zeit, denke ich mir, und halte nach einigen Kilometern kurz Pause, um mich einholen zu lassen.

Gemeinsam reflektieren wir diese erste Stunde des alleine Gehens und umwandern dabei die riesgen Fischzuchtteiche Pouy.

Etwa 20 Minuten später ist das Dorf Manciet erreicht. Eine verlassen wirkende Arena dient dem in der Region praktizierten Stierkampf, lesen wir. Ich bin definitiv kein Freund von dieser Form des Umgangs mit Tieren - doch zumindest unterscheidet sich der "Kampf" hier von der Austragungsart in Spanien dadurch, das die Tiere nicht verletzt, sondern ihnen lediglich ausgewichen wird. Ein "Spiel" aus einer anderen Zeit, denke ich mir...

Wir besorgen uns Obst und Schokolade von einem kleinen Greissler und halten dann eine kurze Mittagsrast. In der geschlossenen Kirche ist kein Pilgerstempel zu bekommen und auch sonst lädt der Ort mangels eines Cafes nicht länger zum verweilen ein.

Der Nachmittag gestaltet sich kurzweilig. Wir durchwandern die Bohnen- und Maisfelder gemeinsam und sind froh, dass uns heute keine Streckenführung über asphaltierte Radwege bevorsteht.

Mitten im Wald taucht pötzlich die Eglise de l´Hospital auf. Einst war die Kirche dem Malteserorden unterstellt, heute machen Pilger hier Rast und schützen sich unter dem Vordach vor dem mittlerweile heißen Sonnenschein.

Auch uns ist heiß geworden. Wir beschreiten Feldwege und Pfade zwischen den hohen Maisfeldern in Richtung des Zielorts Nogaro. Dort wollen wir heute im Gegensatz zu gestern früher ankommen und genug Zeit zum Erholen haben.

Die meisten anderen Pilger um uns herum haben sich wenige Kilometer vor dem Zielort bereits zum Rasten im Schatten niedergelassen. Wir überschreiten indes den Greenwich-Nullmeridian, der mit einer großen Holztafel markiert ist. Direkt daneben hat ein Fotograf am Wegesrand seine Portraits von Pilgern ausgestellt. Ich bin von den Fotografien beeindruckt und präge mir den Namen des Künstlers ein.

Leider auf dem Foto kaum zu erkennen liegen auf diesem gigantischen Feld hunderte liegengebliebene Strohballen herum. Im stolzen Frankreich ist das Wickelnetz natürlich in das blau-weiß-rot der Nationalflagge gefärbt.

Als die Stadt schon in Sichtweite liegt, tun wir es den französischen Pilgern gleich und legen uns für eine Viertelstunde in eine schattige Wiese. Die Horizontale tut sehr gut! Der Wegführer erklärt, dass die Motorengeräusche von der Autorennstrecke Circuit Paul Armagnac stammen. Der Rundkurs wurde in den 60er Jahren erbaut und wird heute sogar von Formel1 Teams für Testfahrten verwendet.

21 Kilometer und damit die kürzeste Tagesetappe des diesjährigen Abschnitts ist geschafft und die Kleinstadt Nogaro heißt uns willkommen.

Zwischen den beeindruckend schönen, alten Fachwerkshäusern sind die gespannten Leinen mit Fähnchen ein fröhlicher Schmuck. Jakob erkennt sofort die Farben der Ehrentrikots der Tour de France... das geschulte Auge des Radrennsport-Neueinsteigers. Plakate erinnern an die Zielankunft der Touretappe vom 04.Juli dieses Jahres. Ein kurzes Video ruft auch bei mir die Erinnerung an den Sprint auf der Rennstrecke auf, bei dem leider einige Fahrer zu Sturz gekommen waren.

Wir besuchen die dreischiffige Stiftskirche Saint-Nicolas, mit deren Bau im Jahr 1055 begonnen wurde. So wie der Großteil des Orts wurde die Kirche im 16. Jahrhundert durch die Hugenottenkriege schwer beschädigt und später wieder aufgebaut. Das Innere des Gotteshauses ist einfach gestaltet.

Den restlichen Nachmittag verbringen wir plaudernd bei Getränken im Gastgarten eines Bistro und ich bin froh, die technischen Probleme beim Bildertransfer nun gelöst zu haben. Mit einem Tag Verspätung beginne ich mit dem Niederschreiben des Erlebten.

Die Auswahl an Restaurants für unser Abendessen ist gering und die Erwartungshaltung aufgrund des Anblicks von außen ebenso niedrig. Umso erfreulicher, wie gut das Essen und der Wein schmecken! (Creme Brulee mit Schafskäse und Salat, im Anschluss eine Couscouspfanne mit Gemüse und Fleisch)


Unsere Unterkunft hatte ein Zweibettzimmer frei und wir nutzen die Möglichkeit gerne. Das Zimmer ist wie das gesamte Haus mit feinstem Biedermeier-Mobiliar eingerichtet: so lässt sichs wohnen!



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