Heute ist es endlich soweit: Ich kann mein Herzensprojekt nach fast einenhalb Jahren fortsetzen... Die Freude ist groß! Herzlich Willkommen zurück bei der Dokumentation meines langen Weges.

Nach einer intensiven, aber sehr spannenden Ausbildungs- und Supervisionszeit für meine neue Aufgabe als Flugretter war im vergangenen Frühjahr leider keine Zeit, den Weg fortzusetzen. Den Hochsommer habe ich als Reisezeit gemieden, um nicht bei 40 Grad durch die Ebenen Südfrankreichs zu wandern - doch Mitte September schien eine gute Wahl zu sein. Ich fragte meinen besten Freund Jakob, ob er dabei sein möchte und nach der Zusage war die Reise rasch organisiert. Zwar sind es "nur" 10 Tage, doch die Vorfreude ist groß!
Obwohl ich wirklich kein Freund davon bin, kürzere Strecken mit dem Flugzeug zurückzulegen, hat sich die An- und Abreise per Luft dieses Mal aus mehreren Gründen angeboten. Zum einen bleiben beim Zeitrahmen von 10 Tagen schlicht mehr Stunden zum Wandern und zum anderen liegen die Flughäfen in sinnvoller Entfernung zum Start- und Zielpunkt des Pilgerabschnitts. Über München verlassen wir Wien, das gerade von einer Kaltfront erwischt wurde und landen nach einenhalb Stunden in Toulouse, wo wir von der Landebahn aus die Werkshallen von Airbus sehen.

Vom Flughafen aus erreichen wir den majestetischen Bahnhof von Toulouse per Bus und essen einen Bissen. Die Plakate informieren über die laufende Rugby Weltmeisterschaft in Paris. Ein grober Vollkontaktsport, bemerke ich im Gespräch. Der pünktliche Regionalzug hält einenhalb Stunden später in Agen, wo wir die Wartezeit zur Abfahrt des Busses mit einem Stadtspaziergang überbrücken. Die lange, aber kurzweilige Anreise endet mit einem entspannten Abend in Condom: Kleine Biere mit Blick auf die Kathedrale in der Abendsonne, ein gemütliches Restaurant mit Tischen auf der Gasse bei durchschnittlichem Essen und ein charmantes Hotel sorgen für einen feinen und lustigen ersten Abend.
Als die Morgensonne durch das offene Fenster blinzelt, wachen wir in einem kühlen Zimmer auf. Ohne zu kuscheln sind die Queensize-Betten ein wenig klein und der nächtliche Kampf um die Decke sorgt für häufige Schlafunterbrechungen.
Nach dem Frühstück betreten wir die Kathedrale von Condom. Die Sonne blinzelt soeben durch die hohen, bunten Fenster in den beeindruckenden Innenraum - ein tolles Farbenspiel.

Enge Gassen führen uns an das Ufer des beinahe stehenden Flusses Baise, dem wir einige hundert Meter Richtung Süden folgen. Die Wiesen sind vom Tau nass und der Blick zur Kathedrale bietet eine glatte Spiegelung im Gegenlicht.

Als die weitere Wegführung unklar wird, treffen wir auf ein französisches Pärchen samt Hund, die sich hier offenbar auskennen und weiterhelfen. Wir verlassen die Stadt in westlicher Richtung als kleines Grüppchen von 6 Personen. Ich versuche, einige Worte mit zwei Damen zu wechseln, doch die Unterhaltung ist durch die mehrfach erwähnte Sprachbarriere stark limitiert.

Unter der steigenden Sonne wird es rasch wärmer und ein gemeinsamer Rhythmus stellt sich ein. In den letzten Tagen war bei mir viel los und die intensiven Arbeitstage am Hubschrauber bilden nun einen deutlichen Kontrast zum langsamen Vorankommen.
Etwa zwei Stunden später erreichen wir die Pont d'Artigues, eine romanische Brücke die im 12. oder 13. Jahrhundert extra für Jakobspilger gebaut wurde. Das geschützte UNESCO Kulturgut wird auch heute noch von 25.000 Pilgern im Jahr überschritten und bildet außerdem einen Meilenstein: von hier aus sind es noch 1000km bis nach Santiago de Compostella. Es ist eine Zahl, mit der ich wenig anfangen kann. Und doch macht mich die Information ein wenig stolz.


Auf dem Weg in die nächste Kleinstadt passieren die die Eglise de Routgès, die einsam zwischen den Weingärten liegt. Hier wird es Zeit für eine überfällige Trinkpause bei einem Blick vom kleinen Friedhof über die Landschaft. Der Ort macht einen verlassenen und aus der Zeit gefallenen Eindruck, das Innere der kleinen Kirche ist karg und die Balken von Hand geschlagen.



Nachdem das Wasser aufgefüllt ist, setzen wir den Weg zwischen den heißen und trockenen Feldern fort. Schatten ist jederzeit herzlichst willkommen. In der Nähe dieser gigantischen Zedern liegt eine Pilgerunterkunft in einem alten Bauernhof.

Kurz nach Mittag erreichen wir die Kleinstadt Montrèal-du-Gers, die uns mit mittelalterlichem Flair empfängt.

Die Siedlung römischen Ursprungs wurde bereits 1289 zu einer der ersten Bastiden der Gascogne ausgebaut. Die Merkmale sind eine gut zu verteidigende Lage, eine starke Befestigung und ein zentraler Marktplatz. Als wir auf diesem ankommen, stehen tatsächlich die Verkaufsstände- und Anhänger der Bauern im Schatten des Rathauses. Wir besorgen uns Baguette, kaufen gestikulierend zwei große Stücke Käse und jausnen unter einem Dach beim Brunnen.

Nachdem wir gesättigt sind, wollen wir noch einen Kaffee unter den Arkaden am Hauptplatz trinken. Als wir uns nähern und sehen, dass die Einheimischen bereits mit Bier und Wein anstoßen, tun wir es ihnen gleich und bestellen Bier und Cola. Ein angenehmer Moment der Rast wird begleitet von einem guten Gespräch.

Wir lassen den Ort Montreal-du-Gers hinter uns und wandern durch Jungwälder Richtung Süden. Wortlos versinken wir in einen ruhigen Trott und sind beide in Gedanken versunken. Ein Merkmal davon, mit jemandem wirklich gut auszukommen ist, gemeinsam Stille halten zu können: Es muss nicht immer etwas gesagt werden.

Die Waldstücke dünnen sich aus und wir durchwandern Weingärten auf sandigem Boden. Die Sonne brennt auf der Haut und wir malen uns aus, wie ein nächster Urlaub auf einem Segelboot in der Adria aussehen könnte.


Auf dem Weg passieren wir zwei Pilgernde, von denen einer aufgrund seiner offensichtlichen Kniebeschwerden mit dem Fahrrad unterwegs ist. Kurz darauf mündet die Routenführung treffenderweise in einen Radweg ein, der einer ehemaligen Bahntrasse entlangführt. Anfangs noch kämpferisch geht uns die schier endlos lange Gerade bald ein wenig auf die Nerven.

Freude kommt auf, als wir die Asphaltpiste verlassen und eine Raststation erreichen. Spontan belohnen wir uns mit Cola und kleinem Bier, außerdem kaufe ich mir ein Armband bei den Hippies, die das willkommene "le mille Bornes" (dt. die tausend Meilen Markierung) führen.

Wir zwingen uns zum Aufbruch: Einige Kilometer liegen noch vor uns und die Sonne steht schon tief. Das unterhalb der Raststation liegende Kirchlein ist bereits in warmes Abendlicht getaucht.

Frust macht sich breit, als wir feststellen, dass wir wieder auf den Radweg zurückkehren und diesem auch noch länger folgen müssen. Sicherlich ist die gerade Verbindung ohne jegliche Steigungen effizient, um die Distanzen rasch zurückzulegen - doch der Trott auf dem Asphalt ist ziemlich öd. Entlang der ehemaligen Bahntrasse sind die früheren Bahnhöfe verkauft und zu schmucken Wohnhäusern umgebaut worden.

Als wir endlich in unserem Zielort Eauze eintreffen, schmerzt meine linke Hüfte ein wenig und die sogenannte "Luft ist raus". Wir durchschreiten den wenig schönen Ortseingang und suchen zunächst unsere Unterkunft, keine kleine Wohnung, auf. Nach dem duschen und der freudigen Entdeckung, dass wir eine Waschmaschine verwenden können, spazieren wir zum Hauptplatz.

Vor dem Essen nehmen wir uns noch Zeit für einen Blick in die einschiffige Kathedrale Saint-Luperc, die ebenfalls im Languedoc Stil erbaut ist und aus dem 15. Jahrhundert stammt.

Nach dem langen und anstrengenden Tag ist die Kraft für weiteren Kulturgenuss endenwollend. Wir nehmen unter der Arcade des Cafe de France Platz, werden von einem gelangweilt wirkenden Kellner begrüßt und essen ein überraschend gutes Abendmenü (zugegeben... der Hunger war groß!).

Die Zeit heute Abend ist knapp, weil wir Eauze erst gegen 18 Uhr erreicht haben und mein Ärger über technische Probleme beim Überspielen der Fotos von der GoPro auf das Handy will im Zaum gehalten werden. Letztlich sind wir sehr erschöpft nach einem langen Tag und einer Belastung, die unsere Körper trotz regelmäßigem Alltagssport so nicht (mehr) gewöhnt sind. Nun bin ich nur noch die Tagesübersicht schuldig.
Bonne Nuit!

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