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Etappe 77 - Lectoure nach La Romieu

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Gestern spät ins Bett - heute spät zum Frühstück. Da die Strecke mit ca. 20 Kilometern heute vergleichsweise kurz ist, spricht auch nichts dagegen, auszuschlafen und erst um 9 Uhr zu starten.


Über die Nacht sind die Regenwolken abgezogen und ein strahlend blauer Himmel überspannt das Land. Am Rande von Lectoure befindet dieser ganz kleine Friedhof und nebenan eine Aussichtsplattform. Wie viele mittelalterliche Städte liegt auch Lectoure aus Verteidigungsgründen auf einem Hügel.

Über Stiegen, die zwischen Fels und Mauer versteckt sind, steige ich hinab und habe dabei das Gefühl, eine Burg über den kleinen Seitenausgang zu verlassen.

Die Etappe heute ist deshalb so kurz geraten, weil weit und breit nur die Stadt Condom (ja die heißt wirklich so) als Abreiseort in Frage kommt. Über das dürftige öffentliche Verkehrsnetz in Zentralfrankreich habe ich jetzt schon das eine oder andere Kommentar fallen lassen; als ich diese bewucherten Gleise sehe wundert mich nichts mehr. Ein modernes, nachhaltiges Verkehrskonzept ist in ländlichen Regionen eine schwierige Sache. Hier lässt man die Infrastruktur einfach verfallen.

Mein Weg gestaltet sich heute ziemlich einsam und ruhig. Nicht immer braucht es große Worte der Erklärung, oder, wie ich es eines betrunkenen Spätabends mit meinem Freund Clemens zu den Klängen von Gabry Ponte nachdrücklich festgehalten habe: „Manchmal ist es eine Geschichte und manchmal ist es nur ein Satz!“

Auf halbem Weg nach La Romieu komme ich im Dorf Marsolan vorbei. Ich wundere mich über die Anordnung in der Kirche, wo die Orgel hinter dem Altar steht.

Am Vorplatz erklärt eine Orientierungs- und Informationstafel die nähere Umgebung.

Große, gesunde Oleanderpflanzen stehen der Hauswand entlang und schaffen ein schönes Ortsbild. Das wäre bei uns klimatisch nicht möglich, denke ich mir.

Bei einem Bauernhof liegt ein riesiger Haufen abgeernteter Maiskolben. Eine spannende Textur für Fotos, bei denen man genauer hinschauen muss.


Die Kathedrale von La Romieu ist von weitem sichtbar und überragt die Landschaft. Obwohl die beiden markanten Türme den Blick fesseln, entgeht mir der botanische Garten natürlich nicht. Ein Glück, dass die im Privatbesitz befindliche Anlage gerade jetzt öffnet und zur Besichtigung lädt. Ich bin heute der erste Besucher und werde von einer jungen Asiatin Willkommen geheißen. Sie fragt nach meiner Herkunft und antwortet zu meiner Überraschung auf Deutsch. Anschließend erklärt sie, dass sie einige Monate in Deutschland studiert habe.


Der riesige Garten, den ich nun betrete, ist eine Augenweide. Insbesondere jene, die sich selbst mit Pflanzen verschiedenster Art auseinandersetzen, schätzen und staunen über die Vielfalt und die schönen Kombinationen. Ein englischer Garten um das Haus, ein Gemüsegarten, ein lichter Wald mit über 200 verschiedenen, zum Teil exotischen Bäumen, ein offener Veranstaltungsraum mit Rosengarten, ein Obstgarten mit einem großen Teich und ein Heilkräutergarten bilden die sogenannten „Jadrins de Coursiana“.



Ich liebe Gärten. Wo sie so besonders artenreich und gepflegt sind zeigen sie uns auch, wie großartig bunt sich die Fauna auf unserem Planeten entwickelt hat, und was es zu schützen gilt. Ich kehre zum Empfangs- und Verkaufsraum zurück, trinke noch einen Kaffee und gehe dann noch etwa eine Viertelstunde bis La Romieu.


La Romieu ist eine kleine Stadt, eher noch ein großes Dorf, das im Jahr 1062 von zwei deutschen Mönchen gegründet wurde. Entsprechend „überdimensioniert“ wirkt die Stiftskirche Saint-Pierre. Das Gebäude samt angrenzendem Kreuzgang wurde im 13. Jahrhundert erbaut und in Anlehnung an den Papstpalast in Avignon ausgestaltet.


Meinen Rucksack darf ich beim Ticketbüro abstellen. Dort erhalte ich außerdem einen sehr ausschweifenden Audioguide sowie einen Pilgerstempel.

Besonders der Kreuzgang hat es mir wieder angetan. Mit großem Staunen umkreise ich den quadratischen Innenhof zwei, drei, vier Mal und bin von dem unterschiedlich einfallenden Licht, dem Schattenspiel und den jahrhundertealten Strukturen fasziniert.



Wendeltreppen, die kaum breiter als ein Flugzeugsitz sind, führen mich in den ersten Stock des Glockenturms. An den dürftigen Absperrungen ist zu erkennen, dass an der Ausgestaltung des Rundgangs noch gearbeitet wird. Da es so viele beeindruckende Kirchen in der Umgebung gibt und diese doch recht abgelegen ist, kann ich mir vorstellen, dass es hauptsächlich Pilger sind, die sich hierher verirren.

Ein weiteres Highlight ist die bemalte Sakristei im untersten Stockwerk des zweiten Turms. Es löst Ehrfurcht aus, so nah an diesen kulturgeschichtlichen Zeugnissen zu stehen. Die Stiftsanlage von La Romieu ist ebenfalls in der Weltkulturerbeliste der UNESCO eingetragen.

Dieser zweite Turm ist in vielen Umdrehungen bis ganz nach oben begehbar. Im Zwischengeschoss kann man kurz rasten und die entgegenkommenden Besucher vorbeilassen. Da fällt mir auf, dass ich auf dem Dach der Kirche stehe.

Der Ausblick auf den Glockenturm, den Kreuzgang, das Dorf und die umliegenden Felder schließt eine tolle Besichtigung ab. Während ich absteige, macht sich mein beruflicher Hintergrund bemerkbar und ich frage mich, ob hier schon einmal jemand zu Sturz gekommen ist und welche wahnsinnige Arbeit es wäre, eine Patientin Oberschenkelhalsfraktur irgendwie aus dieser unzugänglichen Wendeltreppe herauszuholen. Gut, dass es so viel zu sehen gibt und dieser Gedanke damit bald verworfen ist.

Im Tourismusbüro erfrage ich den Busfahrplan für meine baldige Heimreise aus der Stadt Condom und gehe dann die restlichen etwa zwei Kilometer zu einer reservierten Privatunterkunft. Die Kinder von Nabali und Marc sind seit einem Jahr ausgezogen, das Zimmer wurde umgestaltet und seit wenigen Monaten beherbergen sie Gäste.


Unsere Sprachbarriere verhindert längere Unterhaltungen, doch das macht nichts. Ich bin müde, mein Kopf beginnt irgendwie frühzeitig, sich auf die Heimreise zu machen und ich lege mich bald ins Bett.



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