Ein komfortables Bett und ein Regenschauer am frühen Morgen sind ein Garant für guten Schlaf. Ich verschlafe und stehe erst kurz vor 8 Uhr auf.
Ich packe die frisch gewaschene Wäsche und verlasse die Wohnung. (Das Auf- und Zusperren funktioniert mit einer App... ziemlich modern - aber man überlegt schon, wer sich vielleicht noch Zugang verschaffen könnte)
Montage sehen in Frankreich aus wie Sonntage bei uns: Auf den Straßen herrscht beinahe gähnende Leere und die allermeisten Geschäfte, samt Bäckereien, haben geschlossen. Im Supermarkt hole ich mir Frühstück und Proviant, dann bin ich wieder am Weg.

Zunächst überquere ich den Kanal des Flusses Garonne. Die Wasserstraße mit den Hausbooten erinnert ein wenig an Amsterdam.
Unübersehbar ist das ‚Hotel Le Moulin de Moissac‘, das im Stil eine Grand Hotels am Ufer des Tarn steht und zumindest äußerlich ein wenig in die Jahre gekommen ist. Vom Ankerplatz davor hat man einen guten Blick auf die Pont Napoleon.


Nun verläuft der Weg eine ganze Zeit lang dem lateralen Garonnekanal entlang. Die Schiffstraße verläuft über viele Kilometer parallel zu dem großen Fluss. Das Abschreiten ist zwar eintönig, lädt aber zur Meditation ein. Zwischendurch zieht einmal ein ganz leichter Nieselschauer durch.


Ich entscheide mich bei der Schleuse Espangnette für die Variante am Flussufer statt über die nördlich liegenden Dörfer und verharre in meditativem Trott. Zur rechten liegt weiterhin der Canal de la Garonne, zur linken der brachial geformte und breitere Canal de Golfech.

Auf wirren Wegen finden meine Gedanken zur Produktvorstellung des ersten iPhones von Steve Jobs im Jahr 2007. Nach etwa zweienhalb Stunden entlang der geraden Wasserstraßen erreiche ich Pommevic, mache einen Blick in den kitschigen Innenraum der Dorfkirche und setze dann in südlicher Richtung fort. Beim Übersetzen des unnatürlichen Golfech-Kanals wird der Blick auf ein naheliegendes Atomkraftwerk frei. Der Anblick ist ungewohnt und löst unangenehme Bauchgefühle aus.

In der Tiefebene der Garonne liegen fruchtbare Böden und daher Ackerflächen, Weingärten und Obstplantagen. Beim Anblick eines kürzlich grob gepflügten Feldes muss ich wieder an die Metapher der Risse im Boden denken. Hier fand auch ein grober Gewaltakt statt - doch er ermöglicht Veränderung; eine neue Bepflanzung.

Ich erreiche die Ortschaft Espalais, wo mir erstmalig die Verwendung der dünnen Ziegel deutlich wird.


Direkt nach der Ortschaft übersetze ich die Garonne auf einer großen Brücke mit schmalem Gehsteig. Wenige Schritte bergauf bringen mich nun in den Ort Auvillar, der ebenfalls den Titel „die schönsten Dörfer Frankreichs“ trägt. Zentraler Anlaufpunkt ist der Hauptplatz mit einer runden Markthalle aus dem Jahr 1824. Das Bauwerk ist wirklich beeindruckend und fotografisch schwer einzufangen.



Ich betrete die nach Nordosten ausgerichtete Aussichtsplattform samt Kinderspielplatz und schaue Richtung Moissac zurück. Wer auf dem Weg ist, orientiert sich meist nach vorne - doch es tut auch gut hin und wieder zurück zu blicken.

Glücklicherweise öffnet in diesen Minuten das angrenzende Tourismusbüro und ich kann mir in dem kürzlich renovierten Gebäude einen Pilgerstempel holen. An dieser Stelle sei einmal eine Lanze gebrochen für die Tourismusanlaufstellen in Frankreich: Die Beschäftigten bemühen sich wirklich sehr um die Anliegen der Gäste.

Dieses Tourismusbüro sieht nicht nur von außen gut aus und ist innen hilfreich, sondern beherbergt auch eine Kalligraphieausstellung, für die ich mir gerne Zeit nehme. Beim Verlassen bekomme ich noch ein Zitat zum Nachdenken mit.
„A journey becomes a pilgrimage as we discover, day by day, that the distance traveled ist less important than the experience gained.“ (Ernest Kurtz)
Gerade nach den vorherigen zu langen Tagen habe ich darüber nachzudenken.

Am Weg durch die Montags ruhige Ortschaft treffe ich auf einen suchenden Pilger und komme mit ihm ins Gespräch. Es ist Wilfried aus Deutschland, der nach der Kirche sucht, um nach einem möglichst günstigen Schlafplatz zu fragen. Er berichtet mir, einem Ruf gefolgt zu sein und hat seinen Job aufgegeben um diesen besonderen Weg zu gehen. Ich bin beeindruckt von seiner Überzeugung und dem Gottvertrauen. Als er das Thema Corona anschneidet winke ich ab - davon will ich eigentlich im Moment nichts wissen, egal, was es auch ist. So trennen sich unsere Wege mit einem gegenseitigen „Buen Camino!“.

Ich gehe durch den beeindruckenden Uhrenturm, der einst das Stadttor war und setze mich bei einem Restaurant nieder, um einen Kaffee zu trinken. Es ist einer dieser Momente, in denen ich mich sehr glücklich schätze, hier sein zu dürfen und das alles zu erleben.

Inzwischen ist von dem Nieselregen am Vormittag nichts mehr übrig und der Himmel ist heiter. Auf den übrigen 8 Kilometern ins Etappenziel erreiche ich Bardigues oder Bardigas wie gleich darunter zu lesen ist.

Während ich mich noch frage, ob die Sache mit unseren zweisprachigen Ortsschildern in Kärnten zu vergleichen ist, erreicht mich ein Pilger schnellen Schrittes.
„Salut. Ca va?“
Trotz einer deutlichen Sprachbarriere verständigen wir uns recht gut und er erklärt mir, dass der zweite Ortsname die alte okzitanische Sprache abbildet. Olivier kommt aus Paris und hat sich den Abschnitt Conques - Saint-Jean-Pied-de-Port vorgenommen. Er hat ein Zelt dabei und trägt enorme 18 Kilogramm Gepäck am Rücken.

Wir plaudern mit Händen und Füßen - aber so vertieft, dass wir eine Abzweigung verpassen und von einer hilfsbereiten Autofahrerin auf unseren Fehler aufmerksam gemacht werden. Die paar hundert Meter in die falsche Richtung fallen auf so einer langen Strecke nicht ins Gewicht und außerdem war es das nette Gespräch schon wert. Gemeinsam erreichen wir meinen Zielort Saint-Antoine. Der Zugang in das entzückende Dorf erfolgt durch das Eingangstor eines ehemaligen Hospitals.
Das winzige “Zentrum“ der Ortschaft besteht aus einer engen Gasse, der Kirche und einem kleinen Gasthaus, dessen Tische auf der Straße stehen. Direkt gegenüber liegt meine reizvolle Unterkunft. (die blauen Fenster links)

Die zuvorkommende Gastgeberin Isabelle zeigt mir mein riesiges Zimmer samt offenem Bad. Beim Aufhängen der Wäsche gibt es ein überraschendes Wiedersehen mit Dominique, die Julia und ich gemeinsam mit ihrem Gatten Daniel in Bach getroffen haben. Sie erzählt, dass sie zwischenzeitlich den Blog gelesen, und aufgrund der beiden langen Etappen zuvor nicht mehr mit einem Wiedersehen gerechnet hat.

Die beiden laden mich auf zwei Gläser hervorragenden Rose-Wein als Aperitif ein. Erst jetzt begreife ich, dass der Sport die beiden als Leidenschaft erst spät gepackt hat und sie die ersten Marathons mit etwa 40 Jahren gelaufen sind. Die Liste der europäischen Städte, in denen sie bereits die magischen 42,195 Kilometer zurückgelegt haben ist schlicht unglaublich. Ein Wermutstropfen: Wien war leider bisher nicht dabei…

Ich esse heute meine mühsam mitgetragenen Vorräte auf und daher nicht im Restaurant - probiere mich jedoch während der Fotoauswahl und dem Blogschreiben durch die Getränkekarte. Den Anblick der Gasse am Abend konnte ich zwar fotografisch nicht einfangen, innerlich erhält er jedoch gemeinsam mit dem Geschmack des ausgezeichneten Rotwein-Cuvees einen besonderen Platz in meiner Erinnerung.
A demain!

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