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Etappe 67 - Golinhac nach Conques

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

So groß der Unmut über die gestrigen „Überstunden“ einer zu langen Etappe auch war, so groß ist heute früh die Freude über eine „kurze“ Etappe mit ca. 20 Kilometern. Diese Einteilung soll uns außerdem mehr Zeit verschaffen, die mehrfach empfohlene Stadt Conques am Nachmittag zu ausführlich besichtigen.


Wir starten auf dem Hochplateau oberhalb des Lottals und wandern nach Westen. Alte Schilder weisen den Weg.

Nach etwa zwei Stunden erreichen wir das Dorf Espeyrac, wo wir wie die meisten anderen Pilger eine Pause bei einer liebevollen Jausenstation einlegen. Das Foto des Innenraums der Kirche ist an dieser Stelle ganz bewusst eingefügt, denn die Sakralbauten haben in den letzten Tagen insgesamt eine große Ähnlichkeit. Die schlichten frühgotischen Bögen schaffen einen strukturierten Raum, der ohne Hochaltar auch nicht überladen wirkt sondern eine gewisse symmetrische Ruhe ausstrahlt.

Eine Stunde moderater Steigung führt uns nach Senergues, das etwa auf halbem Weg nach Conques liegt. In der Kirche herrscht im Gegenteil zum Treiben am Vorplatz eine kühle Stille.


Obwohl heute eine vergleichsweise kurze Strecke zu bewältigen ist, macht sich bei mir unter der Nachmittagssonne Müdigkeit breit. „Eau Potable“ - die Trinkwasserstellen werden zu willkommenen kurzen Pausen im Schatten.

Auf den letzten Kilometern des Tages fällt der Weg steil ab. Nach einiger Zeit des konzentrierten Absteigens über den steilen Pfad lichtet sich plötzlich der Wald und wir erreichen die ersten Häuser von Conques.

Eigentlich könnte der Beitrag zum heutigen Pilgertag hier enden, doch was wir nun entdecken ist eine, in vielerlei Hinsicht einzigartige Stadt. Die ersten Häuser lassen den Charme des Ortes bereits erahnen.

Wenige Schritte über altes Kopfsteinpflaster führen uns zum Ortskern, des mittelalterlichen Städtchens. Im Zentrum steht die beeindruckende Kathedrale Saint-Foy aus dem 11. Jahrhundert. Begonnen hatte hier alles mit einem Einsiedler, dessen Niederlassung sich später zu einem Benediktinerkloster entwickelte. Zur Blüte gelangte die Abtei, nachdem der Mönch Ariviscus die Gebeine der heiligen Fides (eine 13jährige Märtyrerin, die im Zuge der Christenverfolgung 303 n.Chr. hingerichtet wurde) aus Agen entwendet hatte. Die Geschichtsschreibung des Klosters spricht hier von einer „heimlichen Überführung“ - der Wiener sagt „gefladert“!

In der Hochzeit der Pilgerbewegung war Conques eine wichtige Station auf dem Weg nach Santiago de Compostella, später geriet der Ort in Vergessenheit und hätte sogar abgebrannt werden sollen. Offenbar siegte der glückliche Umstand, dass diesen Ort lange niemanden wirklich interessierte: Heute gibt der Ortskern ein weitgehend unverändertes Bild aus dem 15. Jahrhundert ab.


Wir gehen zur Kathedrale, bewundern das Eingangsportal und staunen bei dem Eindruck, den das immens hohe Gebäude vermittelt. Bei einem Rundgang durch die gigantisch hohen Bögen versuche ich, das Raumgefühl wahrzunehmen und natürlich auch, einige gute Bilder aufzunehmen.




Überrascht, zutiefst beeindruckt, fasziniert - und außerdem durstig nehmen wir gegenüber des Kirchenportals unter den Schirmen eines Lokals Platz. Wir unterhalten uns darüber, dass es Orte auf der Welt gibt, die so einzigartig schön sind, dass jegliche Umschreibung versagt. Dieses Städtchen ist einer dieser Orte.

Kurz vor 16 Uhr suchen wir unsere telefonisch reservierte B&B Unterkunft auf und finden das Haus direkt neben einem der Stadttore. Die Gastgeber wirken überrascht und freuen sich überschwänglich, uns zu sehen. Minuten später wird klar warum: Nach einem aufwendigen Restaurationsprozess des alt-ehrwürdigen Hauses sind wir heute tatsächlich die allerersten Gäste, die Ghislaine und Christophe empfangen.

Teilbereiche des hochwertig renovierten Fachwerkhauses sind noch in Arbeit - dieses Zimmer jedoch ist fertig. Gemeinsam mit den herzlichen Gastgebern dürfen wir einen emotionalen Moment miterleben.

Das Ergebnis der langen und schweren Restaurierung kann sich sehen lassen! Frisches Leinen liegt auf dem neuen Bett, und von dem Zimmer im 3. Stockwerk hat man einen atemberaubenden Blick über die Dächer bis zur Kathedrale hin.

Dankbar sind wir über die Möglichkeit, unsere Wäsche in der Maschine waschen zu dürfen. Während das Gerät läuft, begeben wir uns auf einen Spaziergang durch den Ort, bei dem man kaum weiß, in welchem Anblick man sich als nächstes verlieren wird.


Heute ist auch genug Zeit, die Schatzkammer (franz. tresor) der Abtei zu besuchen. Hier ist die Reliquienstatue der hl. Fides und weitere Prunkstücke aus der örtlichen Kirchengeschichte, die die Zeiten auf Umwegen überdauert haben, ausgestellt.


Bevor wir der Einladung zum Orgelkonzert samt Nachbeleuchtung der Kirche nachkommen, ergattern wir den letzten nicht reservierten Tisch und können auf dieser Terrasse zu Abend essen. Es ergibt sich ein freudiges Wiedersehen, als das Pärchen samt Säugling aus der Normandie, die wir vor ein paar Tagen bereits gesehen haben, am Nebentisch Platz nimmt.

Zur blauen Stunde versammeln sich etliche Interessierte, um den Ausführungen eines Ordensbruders zu den Darstellungen am Tympanon zuzuhören. Nachdem seine Erklärung auf französisch erfolgt, lesen wir im Buch nach: Die vielen Details über dem Kircheneingang sind eine Darstellung des jüngsten Gerichts mit dem Himmel auf der linken und der Hölle auf der rechten Seite. Wer die Regeln macht, teilt ein: In einer gewissen moralischen Dehnbarkeit der damaligen Mönche hat es der Dieb der Relique ebenfalls als Randnote auf die Seite des Himmels geschafft.

Ich mache bei dieser speziellen Lichtstimmung ein paar Schritte umher und stehe einige Minuten alleine zwischen Kathedrale und Kloster.

Laut quietschende Schwalben sausen im Tiefflug über mich hinweg und ein betagter Priester verlässt gerade mit seinem Sauerstoffgerät den Beichtstuhl. Im Gedanken an diese hingebungsvolle Seelsorge, eine unterschätzte und besondere Aufgabe, stehe ich im Licht des aufgehenden Mondes und bin zu Tränen gerührt. In mir tauchen Fragen auf - und ich lasse sie zu. Wie wäre es, sich diesem göttlichen Auftrag zu stellen und Priester zu werden? Wie klingt die Berufung Gottes?

Ich gehe zurück zu der Traube an Menschen, die nach der kunsthistorischen und religiösen Lektion die Kathedrale betritt.

Julia hat vorab bei der Touristeninformation zwei Tickets gekauft und so haben wir die Möglichkeit, nach oben zu gehen und die nun beleuchtete Kathedrale nochmals aus einer ganz neuen Perspektive zu sehen. Es ist hier möglich, das gesamte Kirchenschiff „im ersten Stock“ zu begehen.

Während die hohen Säulen, Wände und Kuppeln in unterschiedlichem Licht erstrahlen wird Orgelmusik gespielt. Dabei ergeben sich vielseitige Stimmungen.

Nachdem ich Fotos gemacht und wir die Kathedrale aus verschiedenen Blickwinkeln bestaunt haben, setzen wir uns in die Nähe der Orgel und kommen zur Ruhe. Der Blick auf die Orgel, ein Instrument das ich sehr schätze, ist wie so vieles am heutigen Tag etwas Neues. Und noch ein Gedanke kommt mir plötzlich: Wie schön, dass sich ein Mönch an die Klaviaturen und Register der Orgel setzt und sich viele Menschen versammeln, um ihm einfach zuzuhören.

Als der letzte Ton verklungen ist, verlassen alle die Kirche und sammeln sich erneut vor dem Eingangsportal. Uns ist nicht ganz klar, was wir nun zu erwarten haben. Dann passiert wieder etwas unerwartetes. Die Lichter gehen aus, die Stimmen verstummen, und eine aufwendige Lichtinstallation färbt die unzähligen Details des Tympanon ein. Stück für Stück setzt sich das Gesamtkunstwerk aus den einzeln hervorgehobenen Figuren, Szenen und Schriftzügen zusammen.

Verwundert, von allem, was wir hier erleben durften, gehen wir zu unserer nagelneuen Unterkunft zurück und werden am Weg zum Zimmer von Ghislaine (vulgo „Ghisi“) und Christophe abgefangen. Sie wollen mit einem Glas Champanger auf die Eröffnung ihres „Chambre de hotes“ anstoßen. Als wir schließlich ins Bett fallen, ist es spät und wir sind von außergewöhnlichen Eindrücken gesättigt.


Mit dem Gefühl großer Dankbarkeit beende ich heute diese Zeilen. Natürlich sollte man wannimmer es möglich ist, achtsam genug sein, das Schöne und Gute wahrzunehmen - heute aber wurden wir reich beschenkt.

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