Frühmorgens stehen wir heute auf. Zum einen ist die Tagesetappe wieder ziemlich lang und zum anderen soll gleichzeitig tagsüber ein wenig mehr Spielraum für Pausen bleiben. Bei der Patisserie im Ort gehören wir heute zu den ersten Kunden, anschließend brechen wir gegen 07.00 von Aumont, der Hauptstadt des Aubrac-Gebiets auf. (Schwer zu lesen aber von hier aus sollen es noch 1450km bis Santiago sein.)

Anfänglich fröstelt es mich noch ein wenig, doch sobald wir in die Sonne kommen, wird es rasch warm.

In der ersten Stunde des Tages kommen wir durch den Ort La Chaze-de-Peyre und halten bei der Kirche samt umliegendem Friedhof kurz inne.

Die „Morgenstund“ hat ja bekanntlich „gold im Mund“, vor allem ergibt sich neben der ganz besonderen Lichtstimmung auch so manche außergewöhnliche Situation. Heute begleiten wir eine Herde Kühe auf deren Weg zur Weide. Der Weg ist deutlich länger als ein Kilometer und die Tiere sind ziemlich flott unterwegs. Unter der genauen Beobachtung des Bauern biegen sie in die vorgesehene Weide ein.

Wenig später zweigen wir von Asphalt- und Forststraßen ab und gelangen zum Aubrac-Hochland. Dabei handelt es sich um eine Hochebene aus Basalt und Granit zwischen 1.000 und 1.400 Höhenmetern. Das Klima ist zu rau für Ackerwirtschaft und im Winter versinkt das Gebiet zeitweise unter einer dicken Schneedecke. Zunächst schlängelt sich der Weg zwischen knorrigen Kiefern durch, bis wir die weitläufigen Flächen einer faszinierenden Landschaft betreten.

Mit nur 14 Einwohnern pro Quadratkilometer ist die Region äußerst dünn besiedelt. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Dichte in Deutschland beträgt ca. 220 Ew/km2 und in Österreich 107 Ew/km2. Dass heute keine einzige Wolke am Himmel zu sehen ist unterstreicht den Eindruck von scheinbar unendlicher Weite.

Auf vielen Weiden blühen unzählbar viele Narzissen und bilden einen riesigen gelben Teppich. Damit wird auch deutlich, wie verzögert die Vegetation hier oben in den Frühling startet. Das Farbspiel ist für uns jedenfalls eine Augenweide.

Wir gehen nun wieder ein Teilstück getrennt von einander und ich schweife mit meinen Gedanken im Anblick dieser unbesiedelten Naturlandschaft ab. Kräftiger Wind zieht über die Wiesen und kleinen Steinmauern. Ich kann gut nachvollziehen, warum die Protagonisten vieler biblischen Geschichten auf Berge steigen mussten. Hier oben sei man “dem Himmel näher“ heißt es - ich bin mit dieser Beschreibung nicht ganz zufrieden. Ich glaube, gerade heute müsste man sagen: Je mehr man sich vom Lärm, den Ablenkungen und dem Stress entfernt umso höher ist die Chance, zu Ruhe, zu sich selbst, zur inneren Stimme zu finden. Ich nenne das auch „Gespräch mit Gott“.

Die Erhebung, die ich erreiche, heißt Roc de Loups. Riesige Granitblöcke liegen auf der Wiese, ich drehe mich herum und staune über den Ausblick. Dabei gerate ich in ein Gespräch mit einem Pilger aus den USA.

Im Staunen vergeht die Zeit schnell und ich sehe, wie Julia die Anhöhe ebenfalls erreicht. Die kommenden Kilometer legen wir wieder gemeinsam zurück und sprechen über das, was wir beobachtet haben.

Über viele Stunden ist die Landschaft, die uns heute umgibt schlicht unbeschreiblich. Das Panorama, das die Bilder hier zeigen, erstreckt sich über volle 360 Grad und ist damit fotographisch eigentlich nicht einzufangen. Wir unterbrechen den Tagesmarsch bei einer netten Dame, die uns Kuchen mit Oliven und Käse, eine lokale Spezialität, und Kaffee verkauft. Außerdem verspeisen wir unseren gestern gekauften Vorräte, bevor die Reise weitergeht.

In den Nachmittagsstunden erreichen wir den Fluss Bes, der das Blau des Himmels reflektiert, übersetzen diesen auf einer Brücke und setzen unseren Weg Richtung Nasbinals fort. Für alle, die gerne fotographieren, ist ein Werbeplakat einleuchtend: In dieser Gegend mit sehr geringer Lichtverschmutzung ist es möglich, gute Aufnahmen der Milchstraße im Nachhimmel aufzunehmen.

Die Viehzucht als Haupterwerb der hiesigen Bauern beschäftigt sich seit hunderten Jahren mit einer speziellen Rasse. Die Aubrac Rinder sind schöne Tiere mit einem Fell verschiedener Brauntöne und markanten Hörnern. Diese Dame hat sich liebenswerter Weise die Zeit genommen, kurz für ein Foto zu posieren.

Durstig erreichen wir Nasbinals, das wiederum vielen Pilgern ein Etappenziel ist, und füllen unsere Flaschen auf. Die Ortschaft mit steingedeckten Dächern ist sehenswert uns im Winter ein Zentrum des Wintersports. Wir holen uns im Tourismuszentrum einen Pilgerstempel und trinken einen Kaffee hinter der Kirche.

Von hier sind es etwa 9 Kilometer bis in das Etappenziel Aubrac, das unweit der höchsten Erhebung der Hochebene liegt. Auf dem Weg dorthin schleicht sich ein kleiner, der Unaufmerksamkeit geschuldeter Umweg ein. Davon abgesehen ist es ein landschaftlicher Genuss, den wir beide wohl nie vergessen werden. Wo mir die Worte ausgehen, möchte ich einige Bilder sprechen lassen.




Nachdem der höchste Punkt der Via Podiensis mit 1.368 Metern recht unspektakulär ohne Gipfelerlebnis überschritten ist, haben wir Sicht auf das malerisch gelegene Etappenziel.

Wir beziehen das Zimmer in dem Hotel „La Domerie“ und stellen fest, dass Sonne und Staub deutliche Spuren hinterlassen haben.

Die Sonnenterrasse eines Lokals samt darunterliegendem botanischem Kleingarten lädt zu einem Drink ein und wir stoßen auf einer weitere unfallfreie und landschaftlich beeindruckende Etappe an.

Zuletzt möchte ich mich heute bei allen bedanken, die an mich gedacht haben. Ich habe einen wunderbaren Geburtstag erleben und ihn mit einem hervorragenden Abendessen ausklingen lassen dürfen. Dazu gehört erwähnt, dass ich mir gewünscht habe, die regionalen Spezialitäten, Aligot (eine alte Kartoffel-Käse-Speise der Mönche und Pilger) und das Fleisch der Aubrac-Rinder als Steak zu probieren — und beides wurde heute im Menü und in hoher Qualität serviert. (#Luxuspilger)

Für mich ist all das nicht selbstverständlich. DANKE, dass ihr mich auf diesem, meinem Weg begleitet.

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