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Etappe 58 - Les Setoux nach Tence

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

In der Herberge der französischen Pfadfinder verbringen wir eine kurze Nacht und sind früh auf den Beinen, um den vorhergesagten Regen am Nachmittag zu meiden. Obwohl das Haus der Gastgeberin Marie zufolge erst kürzlich renoviert wurde, hält der Stromkreis der Verwendung des Toasters nicht Stand und meldet mit einem nervenaufreibenden Piepston irgendeinen Defekt. Die ebenfalls munteren Portugiesen bemühen sich zu helfen, drücken dabei alle Knöpfe der Anlage und lösen einen Evakuierungsalarm aus (dessen Geräusch noch deutlich markdurchdringender ist als jener zuvor). Nach 10 langen Minuten der Sorge, ob die Feuerwehr alarmiert wurde, endet der Lärm Gott sei Dank von selbst. Wir trinken unseren Kaffee aus und brechen fluchtartig auf - ich reagiere auf derartigen Stress in der Früh einigermaßen allergisch.


Während wir mit der Morgensonne lange Schatten vor uns hertragen, denke ich darüber nach, wie abhängig wir doch von moderner Kommunikation geworden sind. In der Herberge gab es keinerlei Mobilfunk- geschweige denn Internetempfang und so waren wir mit unseren Problemen alleine.

Nun zur eigentlichen Tagesetappe: Der Streckenverlauf deckt sich auch nach Les Setoux weiterhin mit dem GR65 und führt uns in munterem Auf und Ab in das Gebiet längst erloschene Vulkangebiet Velay, inmitten des französischen Zentralmassivs.

Entgegen der Wetterprognose starten wir mit einem wolkenlosen Himmel in den Tag.

Die Route führt von den Hochweiden in lichtdurchflutete Waldstücke hinab. Die Stille, die Feuchtigkeit und der Duft des Waldes wirken wie Balsam für die Seele. Ich versuche, alle Sinneseindrücke aufzunehmen und zu speichern. Dies ist einer der Orte, an den ich im Rahmen einer Meditation gedanklich zurückreisen möchte.

Nur wenige Bauernhöfe unterbrechen unseren Streifzug über die bewaldeten Hügel. An der Talsohle angekommen überqueren wir nebst einer verfallenen Mühle einen Bach und beginnen bald wieder mit einem Aufstieg.

Die Glocken der Kirchen schlagen gerade Mittag, als wir die Kleinstadt Montfaucon-en-Velay erreichen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch keine Einigkeit hinsichtlich des Etappenziels geschaffen, doch mit einem Blick in den Himmel und auf die Uhr entscheiden wir uns, weiterzugehen. Zuvor spazieren wir durch den Ort, kaufen bei den Patisserien ein, was uns gefällt und setzen uns für ein paar Minuten auf dem Hauptplatz in die Sonne.

Selbstverständlich lassen wir auch den Besuch der Kirche nicht aus. Die Chapelle Notre-Dame-de-Montfaucon bleibt vor allem wegen den 12 flämischen Gemälden des Malers Abel Grimmer aus dem 16. Jahrhundert in Erinnerung. Ein Rundgang durch die romanische Kirche führt den Betrachter auf diese Weise künstlerisch durch die 12 Kalendermonate eines Jahres.

Vielleicht haben wir das Wetter zu früh gelobt oder unseren Plan, weiter zu gehen zu unbedacht gefasst: Obwohl vor uns noch das Himmelsblau zu sehen ist, werden wir wenige Hundert Meter nach der Ortschaft von Niederschlag überrascht.

Regen allein reicht nicht, aprilhaft handelt es sich um einen Hagelschauer. Glücklicherweise finden wir in einer kleinen Bushaltestelle Unterschlupf und können den Höhepunkt des Schauers abwarten.

Ich entdecke, dass sich die Hagelkörner selbst zwischen Rucksack und den Tragegurten angesammelt haben. Mit uns wartet auch ein Rennradfahrer das Gröbste ab. Ich mustere ihn neugierig und habe Mitleid: Ich weiß, wie dünn die Radfahrkleidung ist - und auch, wie unangenehm es sein kann, derart auszukühlen.

Sobald der Hagelschauer vorbeigezogen ist, setzen wir uns wieder in Bewegung und folgen den Muschelsymbolen Richtung Süden. Auf dem Weg kreuzen wir immer wieder die historische Eisenbahnstrecke ‘La Galouche‘, die Montfaucon und Tence, unser Etappenziel, verbindet. Der sogenannte Velay Express verkehrt heutzutage zu touristischen Zwecken zwischen Mai und Oktober, manchmal sogar mit einer Dampflokomotive.


Was hier aussieht wie giftiger Regen ist der gesammelte Blüten- bzw. Pollenstaub, den der Niederschlag aus der Luft gewaschen hat. Uns beiden ist das als Allergiker nur Recht.

Julia hat sich inzwischen der Organisation der Unterkünfte angenommen und eine spannende Option am Weg gefunden. Leider ist die Übernachtung in einer ehemaligen Papierfabrik aufgrund eines bis morgen (!) andauernden Betriebsurlaubs nicht möglich.


Einstweilen blicken wir an mancher Stelle auf das hügelige Land, durch das wir in den kommenden Tagen wandern werden. Jedes Mal, wenn ich bisher einen Referenzpunkt in der Landschaft gewählt habe, war ich überrascht davon, wie rasch ich ihn doch zu Fuß erreichen konnte.

Gegen 16 Uhr erreichen wir Tence und schlendern auf der Suche nach unserem Hotel über die Plätze und Gassen. Die Ortschaft zählt etwa 3.300 Einwohner, verbreitet aufgrund ihrer langen Geschichte auch heute noch ein mittelalterliches Flair und war auch schon früh eine wichtige Station der Pilger auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela. Wir besuchen das Kriegerdenkmal, die Kirchen sowie den Hauptplatz und checken dann im Hotel de la Poste ein.


Abends gönnen wir uns das erste typisch französische Gourmet-Abendessen und dinieren im hoteleigenen Restaurant hervorragend. Gruß aus der Küche - große Vorspeise - Hauptgang mit Fleisch oder Fisch - beeindruckender ‚Käsewagen‘ und die Auswahl aus über 10 verschiedenen Desserts gehört zum Menü für 26 Euro dazu.


Satt, müde und zufrieden schlafen wir ein - dankbar für einen weiteren spannenden Pilgertag.


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