Heute früh sind wir, was das Frühstück betrifft auf Selbstversorgung angewiesen. Aus getoasteten Haltbarbrot-Schreiben und ein paar Eiern bastelt Julia ein überraschend gutes Frühstück. Etwa 8 Uhr ist es, als wir den Bauernhof verlassen und den kurzen Weg in die Ortschaft hinuntergehen. Wir streifen den Ort nördlich, queren die Hauptstraße und beginnen, einen kleinen Hügel hinaufzugehen. Kaum eine Viertelstunde unterwegs ziehen wir bereits die Westen aus: Die Sonne und der Anstieg wärmen, dazu haben wir heute weniger Wind als an den vergangenen Tagen.
Hinter dem Hügel beginnen wir mit einem langsamen stufenweisen Abstieg bis in das Rhonetal.

Ausgedehnte Felder und anschließend Obstplantagen liegen auf einer Ebene etwas überhalb des Flusslaufs. Nachdem sie durchquert sind, beginnen die Siedlungen dichter und der Asphaltanteil der Strecke höher zu werden.


In der Ortschaft Clonas-sur-Vareze treffen wir auf die Gruppe tschechischer Pilger, von denen wir bereits gestern gehört haben. Die bunte Gesellschaft ist mit 12 Personen aus 3 Generationen, einem Säugling und Kinderwagen unterwegs! Wir staunen, wie viel Aufwand die Organisation einer so großen Gruppe mit ganz unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen wohl sein mag. Gerade bei herausfordernden Aufgaben und an erschöpfenden Tagen ist es manchmal schon schwer, sich mit jemand Zweitem zu einigen - wie komplex muss die Situation wohl erst mit Vielen sein. Während wir weiterwandern, sprechen wir darüber und machen und Gedanken zur zwischenmenschlichen Dynamik solcher Gruppen.
Je näher man den dicht bebauten Gebieten und den modernen Verbindungsrouten kommt, umso schwerer hat man es als Fußgänger, einen angenehmen Weg zu finden. Es fällt schwer zu glauben, aber diese Brücke ist in der Umgebung die einzige Möglichkeit, um die Schienen zu queren. (Ja, auch das übersteigen der Leitplanke gehört unweigerlich dazu…) Ich wundere mich, wie umständlich es mancherorts sein kann, das natürlichste Fortbewegungsmittel - die eigenen Beine - zu verwenden.

Siedlungen und Industriegebiet wechseln sich ab, während die monströsen Türme eines Atomkraftwerkes in der Nähe auftauchen - schließlich jedoch finden wir auf einem schmalen Pfad endlich zum Fluss. Die Rhone, die wir zuletzt in der Savoire gesehen haben, hat in der Zwischenzeit eine nördliche Schleife durch Lyon gezogen und fließt hier südwärts. Sie wird die Städte Valence, Avignon und Arles durchströmen bis sie mit einem Delta ins Mittelmeer mündet. Das Überschreiten derart großer Flüsse dauert zu Fuß nicht nur einige Minuten, ich habe auch das Gefühl, eine starke, durch die Natur gezogene Grenze zu überschreiten.

Die Stadt Chavanay am anderen Rhoneufer empfängt und zwar mit einem reizenden, mittelalterlichen Ortsbild - aber auch mit verschlossenen Türen bei den Geschäften. Nach dem Besuch der Kirche lassen wir uns bei dem einzigen Lokal nieder, das abgesehen von der Trafik heute geöffnet hat. Es gibt zwar keine Speisen, aber die Pause bei einem Kaffee tut trotzdem gut und wird zur Planung genutzt.

Wir planen einen kleinen Umweg ein, um für das Abendessen in der reservierten Ferienwohnung einzukaufen. Von Chavanay kämpfen wir uns in der Nachmittagssonne einen Steilen Hügel hinauf und kommen dabei ordentlich ins Schwitzen. Rastplätze sind in Frankreich rar gesäht - umso größer ist die Freude, diesen besonderen Ort zu finden. Die Chapelle du Calvaire blickt erhaben über die Stadt Chavanay und das Rhonetal, und ist obendrein wunderschön. “Pausen muss man nutzen, wie sie fallen“ - erinnere ich mich, und wir verspeisen Äpfel und Müsliriegel vor der Kapelle.

Der natürliche Einschnitt, den die Rhone vorgibt, setzt sich nun auch landschaftlich fort. Die vergleichsweise fruchtbaren Böden der Ausläufer der Alpen werden nun abgelöst von einem sandigen Untergrund mit völlig anderer Vegetation. Niedrig erzogene Weinstöcke und karge Steingärtenpflanzen prägen neben den verstreuten kleinen Bauerndörfern das Landschaftsbild. Nun habe ich auf meinem langen Weg bis hierher schon viele Veränderungen der Umwelt beobachtet - diese ist allerdings besonders abrupt.


Unsere Route führt uns bei kräftigem Sonnenschein und spürbarer Trockenheit bis nach Bessey, wo wir die Kirche besuchen. Dankbar sind wir außerdem dafür, auf der öffentlichen Toilette Wasser aufzufüllen. Ohne nennenswerte Waldstücke wird die Etappe zu einem Marsch mit großem Flüssigkeitsbedarf.


Bei dem stattlichen Rathaus zweigen wir von der markierten Jakobswegroute ab und wandern in die Kleinstadt Maclas, die ein wenig unterhalb der Weingärten- und Dörfer liegt. Es ist wohl generell nicht zu empfehlen, allzu hungrig einkaufen zu gehen; nach einer Etappe auf einem Weitwanderweg ist so ein Einkauf besonders schwierig. Nachdem die Taschen prall gefüllt sind, schleppen wir uns die letzten 100 Höhenmeter zu unserem Etappenziel in Le Viallon hinauf. Die Ferienwohnung ist noch ganz neu, angenehm groß und wird von Max, einem gebürtigen Niederländer, und seiner französischen Gattin geführt. Der Garten samt Pool lädt zum ausspannen ein und wir nutzen die Abendsonne für ein wohlverdientes kaltes Abendmahl.


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