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Etappe 54 - Le Grand-Lemps nach Pommier-de-Beaurepaire

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Herzlich Willkommen zurück bei „der lange Weg“!


Nach einem weiteren anstrengenden Pandemiewinter werden die Tage nun spürbar länger und langsam auch wärmer. Ich bin froh, dass ich den Wonnemonat Mai von Arbeit befreien konnte und bin gespannt auf alles, was mich erwartet: Etwa 30 Tage habe ich nun Zeit, Frankreich zu durchwandern und also mein Herzensprojekt, den Jakobsweg, fortzusetzen. Trotz langer Vorfreude habe ich das Gefühl, in diesen Abschnitt hineinzustolpern. Ruppig gestalteten sich die letzten Nachtdienste und entsprechend müde war ich, als es galt, den Rucksack zu packen und die letzten Reisevorbereitungen zu treffen.


Am Donnerstag, den 29.04. frühmorgens geht es dann los: Wien - Zürich - Genf - Grenoble lautet der Zugfahrplan, der schließlich doch 15 Stunden in Anspruch nehmen sollte. Nach einer Übernachtung in Grenoble (samt Kurzbesuch auf einem temporären und deutlich überfüllten Rummelplatz) folgt noch eine halbstündige Fahrt mit der Lokalbahn.


Ich freue mich, dass mich meine liebe Freundin Julia auf einem Stück dieses Weges durch Frankreich wieder begleiten wird. Offenbar hat sie Gefallen am pilgern gefunden (und sich inzwischen auch standesgemäß mit einer Jakobsmuschel am Rucksack ausgestattet).


Die ersten Schritte vom Bahnhof in den Ort fühlen sich ein wenig surreal an. Vor wenigen Monaten endete hier der letzte vielfältige und anstrengende Abschnitt, der mich aus der Schweiz bis nach Frankreich hineingeführt hat. Heute sieht alles wie damals aus, und doch ist das Vorhaben und das innere Gefühl ein ganz anderes.


Ein paar Minuten dauert es, bis der Weg gefunden ist, dann weist das bekannte gelbe Muschelsymbol auf blauem Hintergrund zielsicher den Weg. Unter steil steigender Sonne wandern wir aufgeregt Richtung Westen während die großen Berge der Alpen mit jedem Schritt etwas kleiner werden.

Schon bald gestaltet sich der Weg abwechslungsreich und wir unterhalten uns über die Erwartungen, die wir auf diese Reise mitgebracht haben. Das gemächliche Tempo aufnehmen, alleine sein, nachdenken, viel Zeit draußen verbringen, Frankreich kennenlernen, Käse und Wein gustieren - die Liste ist lang, der Geist aber vor allem offen, für alles, was da kommen mag.

Schon bald fällt mir auf, dass die Vegetation hier bereits weiter ist als in Österreich. Kornfelder stehen in günstigen Lagen schon kniehoch, die meisten Obstbäume sind bereits verblüht und die Wiesen schon einmal gemäht. Ich erinnere mich an die geographische Europa-Karte, die zu Hause hängt: Der Standort ist ähnlich südlich wie Venedig.

Nach einigen kleinen Dörfern zweigt eine Wegvariante bis Le-Puy-en-Velay südlich vom Hauptweg ab. An dieser Stelle steht ein großer, mit Muschel geschmückter Wegweiser.


Wir bleiben auf dem Hauptweg, der sich mit dem französischen Weitwanderweg GR 65 deckt und treffen wenig später vor einem langsam verfallenden Schloss auf eine Herde Schafe, die in besonders saftigem Grün stehen.

Um die Mittagszeit erreichen wir die Stadt La Cote-St-Andre. Mit etwa 5000 Einwohnern zählt sie zu den größten Städten an der Via Gebennensis. Bekannt ist die Kleinstadt als Geburtsort des französischen Komponisten Hector Berlioz, ein Vertreter der Romantik, und als Wohnort des Malers und Bildhauers Johan Barthold Jongkind, der als Wegbereiter des Impressionismus gesehen wird. Für mich sind die historischen Markthallen aus dem 13. Jahrhundert besonders beeindruckend. Es ist eine Holzkonstruktion, die die Jahrhunderte überdauert hat. Heute führt der Jakobsweg mitten hindurch und ich beginne, mir das Markttreiben damals auszumalen.


Während wir durch die engen Straßen der Stadt gehen fällt noch etwas Kurioses auf: Von kleinen Lautsprechern werden die Gassen mit Radio beschallt. Konnte man sich etwa auf einen Sender einigen? Ich wundere mich.

Bildschöne Blütenzöpfe von Blauregen-Kletterpflanzen (danke, Jakob!) zieren einen der eher spärlich gesähten Rastplätze, die an das Trinken erinnern. Die Frühjahrssonne hat viel Kraft und so wird es, wo es windstill ist, rasch warm.


Im Ort Ornacieux kommt es neben der Kirche während einer weiteren kurzen Trinkpause zu einer netten Begegnung. Rundherum werden Festzelte aufgebaut und geschmückt, Parkplätze sind beschildert und Instrumentenkoffer werden ausgeladen. Es dauert nicht lang bis wir bei einem ganz netten Gespräch mit einer der Mitorganisatorinnen herausfinden, dass heute und morgen ein Volksmusikfestival stattfindet. Die Tradition werde (mit Ausnahme des COVID Jahres) bereits seit 70 Jahren eifrig und stolz geführt. Ob wir noch etwas zu trinken oder essen bräuchten, werden wir mehrmals gefragt - das nicht, aber eigentlich würden wir sehr gerne bleiben und zuhören!

Die Unterkunft etwa 10 Kilometer weiter ist allerdings bereits gebucht und es wäre auch etwas früh, um den Wandertag zu beenden. So machen wir uns nach Bananen und Schokolade wieder auf den Weg. In leuchtendem Gelb stehen die Rapsfelder neben uns während wir auf die Stadt Faramans zugehen. Ich versuche, den Geruch der blühenden Felder einzuordnen und denke dabei unwillkürlich an Honig.

Am Stadtrand von Faramans spazieren wir an Sportanlagen vorbei zu einem reizvollen See, um den sich etliche Fischer in der Nachmittagssonne niedergelassen haben. Im angrenzenden Auengebiet lesen wir, dass es sich um ein Naturschutz- und Erholungsgebiet mit dem Namen Etang du Marais handelt.

Zwar ist es nicht mehr weit bis zum Etappenziel, doch wir werden von einem steilen Anstieg überrascht. Oben angekommen erreichen wir die Ortschaft Pommier-de-Beaurepiere und stehen bald vor der romanischen Steinkirche aus dem 11. Jahrhundert. Der Ort strahlt eine angenehme Ruhe aus und glänzt in der Abendsonne.

Direkt gegenüber der Kirche empfängt uns der Gastgeber einer einfachen, aber sehr zweckmäßigen Pilgerunterkunft. Andre spricht überraschend gutes Deutsch, kocht uns ein Abendessen, trinkt mit uns ein Glas Wein und wir verlieren uns in ein Gespräch. Er erzählt, wie sehr er nach jahrelangem Stadtleben die Ruhe hier genießt und auch seine Meinung zu aktuellen politischen Fragen wie jener der ‚Gilets jaunes‘, der Gelbwestenbewegung in Frankreich.


Noch bevor ich den Etappeneintrag fertigstellen kann, schlafe ich ein - 30 km, daran muss ich mich erst wieder gewöhnen…


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