Die Matratzen im Le Manoir sind für meinen Geschmack etwas zu weich, davon abgesehen ist die Herberge mit Blick auf die Ruine insbesondere wegen der besonders freundlichen Gastgeber wärmstens zu empfehlen. Die Suche nach Quartieren und einem Etappenziel für den heutigen Tag hat gestern Abend ergeben, dass wir einen weiteren Gewaltmarsch absolvieren wollen. Zwar sind es einige Höhenmeter weniger als gestern, am Ende stehen trotzdem stolze 38,5 Wegkilometer zu Buche.

Der Tag beginnt mit einem Abstieg von der Anhöhe der Ortschaft Chaumont. Auf dem Weg nach Frangy kommt uns eine Gruppe pensionierter Tageswanderer entgegen. Unten angekommen kaufen wir im Supermarkt Tagesproviant ein - ein Unterfangen, das aufgrund der großen Auswahl etwas länger dauert.

Die Etappe führt uns durch das französische Alpenvorland im Gebiet Savoyen (franz. Savoie) zum Fluss Rohne hin, dessen Tal wir dann einige Kilometer folgen werden. Nachdem einige bäuerliche Dörfer durchwandert sind erreichen wir Designy und besuchen die Parrkirche St. Laurent.

Durch das Auf und Ab ist uns bei strahlender Sonne inzwischen warm geworden, kurzärmelige Oberbekleidung reicht also aus. Am Rande der Ortschaft kommen wir noch beim aussichtsreich gelegenen Friedhof vorbei.


Während wir uns langsam der Rhone nähern, werden wir - insbesondere Julia - immer wieder von den Tieren der Höfe abgelenkt. Hier werden die Esel so lang gestreichelt, dass sie den Zaun vergisst und durch einen kleinen Stromschlag ans Weitergehen erinnert wird.

Hartmut Engel weist auf die vielen Edelkastanienbäume hin und empfiehlt, einige einzusammeln, um sie später im Backofen zu garen. Bei unserem Tagespensum werden wir dazu abends wohl kaum Zeit finden - die Früchte des Baumes sind jedoch faszinierend. Ich muss zugeben: Gewusst habe ich nicht, dass in einer stacheligen Hülle mehrere „Maroni“ versteckt sind.

Je näher wir dem Fluss kommen, umso häufiger werden nun die Weingärten. Viele liegen in idealer Lage an einem Südhang und schauen auf die Rhone hinunter.

Wir nehmen die lieben Weggrüße der Einheimischen mit und erreichen über die Pont du Fier die langsam fließende Rhone.

Die Rhone entspringt im Schweizer Kanton Wallis am Rottengletscher, durchströmt den Genfer See und mündet nach über 800 Kilometern länge als wasserreichster Fluss Frankreichs südlich von Arles in das Mittelmeer. Nach dem Teilstück, das wir nun pilgernd begleiten, fließt sie nach Lyon und anschließend südwärts, wo sie nochmals den Jakobsweg Frankreichs kreuzt. An der Stelle, wo ein Wasserkraftwerk den Flusslauf in Kanal und Naturlauf teilt, machen wir hungrig Pause und werden durch die „Einfahrt verboten“ Tafel der Schifffahrt ans Heimatland erinnert.

Inzwischen ist es 3 Uhr nachmittags, doch wir haben noch weitere 15 Kilometer Strecke vor uns. Der Abschnitt im Rhonetal wird als “wild-romantisch“ beschrieben und verläuft oft direkt am Wasser. Bevor wir dorthin gelangen, wandern wir wieder ein Stück landeinwärts bis Mathy um später wieder zur Rhone zu stoßen. Julia ist erneut von einem ihrer Lieblingstiere, einer kleinen Glückskatze, abgelenkt.


Während das Licht wieder flacher und die Schatten länger werden stoßen wir plötzlich auf eine Wegsperre, die ziemlich ernst gemeint aussieht. Als uns ein Herr, der mit seinem Hund spazieren geht, die Ausweichroute vorzeigt, folgen wir ihm mit entspanntem Gewissen.

Rechts von dem Pfad, den wir nun gehen, hatte der Fluss die asphaltierte Radroute beim letzten Hochwasser einfach weggespült. Der Rhone, die heute sehr sanft fließt, ist eine solche Wucht kaum zuzutrauen. Allerdings erinnert das Geschehene wieder daran, zu welcher unbändigen Wucht das Element Wasser fähig ist.

Zunächst auf dem Radweg, später auf angenehmen Laubwegen gehen wir flussabwärts auf die Stadt Chanaz zu. Auffällig sind die zahlreichen, in Reih und Glied stehenden Bäume. Beim Nachlesen erfahren wir, dass es sich um die europaweit größte Pappelplantage handelt, die 820 ha umfasst. Für die Wegführung durch die Rhone-Auen gibt es zwei Ausweichrouten, die bei Hochwasser oder nach Öffnen der Schleusen flussaufwärts zu nutzen sind.

Eine am Weg liegende Baustelle führt schmerzlich dazu, dass wir eine der Ausweichvarianten in Kauf nehmen müssen. Als wir in der Nähe einer markanten Felsenerhebung wieder zum Fluss gelangen, sind die 1,5 Kilometer Umweg bald vergessen. Am aufgestauten Teicharm der Rhone, dem „Etang Bleu“ ist in der Abendsonne malerische Ruhe eingekehrt.

Der Blick Richtung Westen lohnt ebenso. Auf der glatten Oberfläche des Flusses spiegeln sich Wolken und Berge.

Auf den letzten Kilometern werden die Auswirkungen des zweiten Tages mit beinahe 40 Kilometern deutlich spürbar. Hart angespannte Schulter- und Nackenmuskeln, auf denen der Rucksack drückt, ein zunehmend verhärteter Rücken und brennende Fußsohlen: es ist nachvollziehbar, dass derlei Belastungen am Körper nicht spurlos vorübergehen. Davon abgesehen sind wir beide unserer Physis der dankbar, diese Anstrengungen mitzumachen und ich persönlich bin ziemlich beeindruckt, wie Julia dieses Pensum ohne großes Murren absolviert.

Ich schließe den Tag mit einigen grenzwertig kitschigen Bildern der Abendsonne über dem Wasser. Wieder erreichen wir das Etappenziel mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages.


Chanaz ist ein Dorf mit 500 Einwohnern und einem mittelalterlich anmutenden Ortskern. Es liegt direkt zwischen der Rhone und dem Canal de Savieres, der die Rhone mit dem östlich liegenden Lac du Bourget verbindet. Aus der ehemalig wichtigen Transportroute zwischen Lyon, Seyssel und Chambery wurde heute ein beliebtes Ziel von Ausflugsschifffahrten.


Nach einem überraschend guten vegetarischen Burger ziehen wir uns in ein eigenwillig gestaltetes Dachkämmerchen zurück und fallen müde in einen tiefen Schlaf.
Bonne nuit!
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