Wachwerden mit Seeblick ist durchaus etwas, woran man sich gewöhnen kann. Nachdem dieser Luxus in vollen Zügen ausgekostet ist, lassen wir das Frühstück im Hotel für wohlfeile 25 Franken pro Person aus und decken uns eine Etage tiefer beim Supermarkt mit Proviant ein. Auf der Suche nach einer geeigneten Bank zum Jausnen erreichen wir schon bald die Nachbarortschaft Genthod.


Dieser und alle weiteren Dörfer bis Genf sind im Stile eines Speckgürtels mehr oder weniger lückenlos zusammengewachsen. Neben den teuren Autos sind auch die gigantischen Villen und weitläufigen Parkanlagen mit Seeblick ein Hinweis auf das ansässige Klientel. Als sich der Blick auf den See doch wieder einmal über einen Weinberg hinweg ergibt, ist bereits die Wasserfontäne von Genf im Hintergrund zu erkennen. Ich lese nach und erfahre, dass die Fontäne einen ganz schlichten geschichtlichen Hintergrund hat. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Maschinen von Handwerkern über den Wasserdruck aus einem Rohrleitungssystem angetrieben. Mit dem Arbeitsende ließ der Bedarf abends stark nach. Um einen Überdruck im System zu vermeiden, war es das einfachste, ein Ventil zu öffnen, um das überschüssige Wasser abzulassen. Bald war aus der Fontäne eine lokale Attraktion geworden und heute gilt die 140 Meter hohe Jet d‘Eau als Wahrzeichen der Stadt. Leider konnten wir den Wasserstrahl, der mit 200km/h die Düsen verlässt später am Tag nicht mehr sehen, da die Fontäne aufgrund des stürmischen Windes abgedreht wurde.

Nach etwa einenhalb Stunden finden wir einen botanischen Garten am Stadtrand von Genf, den wir gerne besuchen. Ich bewundere Gärten generell - besonders faszinierend ist natürlich eine geordnete, vielfältige Zusammenstellung samt Beschreibungen. In den Herbstfarben, mit Seeblick und einem Kaffee aus der Kantine ist dieser besondere Garten zu bestaunen.

Ein Kontrast zu der bunten Vielfalt ist das gegenüberliegende, kalt wirkende Gebäude der World Trade Organisation (WTO). Wir spazieren der Uferpromenade entlang in die Stadt hinein während uns ein kräftiger Wind entgegenbläst. Die Stadt Geneva/Genf ist mit etwa 200.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Schweiz und nicht zuletzt aus geographischer Sicht ein Zentrum Westeuropas. Sie liegt zwischen den Erhebungen des Jura im Norden und der Alpen im Süden eingebettet, malerisch am Abfluss der Rhone vom See. Die Universität, die sich auf den Reformator Calvin 1559 zurückführen lässt, das Forschungslabor CERN, die Zentralen zahlreicher internationaler Organisationen und Konzerne und die Geschichte der Stadt machen sie zur internationalen Drehscheibe.

Auf diesem Kaiausleger befindet sich ein Schwimmbad, das heute trotz des kalten Windes eifrig genutzt wird. Trotz dicker Weste ist uns eher kühl und das Wasser hat nicht viel mehr als 15 Grad - doch das kann die Hartgesottenen nicht aufhalten.

Wir entscheiden uns, die Rucksäcke für die Stadtbesichtigung am Bahnhof in einem Schließfach abzulegen und kommen am Weg dorthin beim neugotischen Brunswick Monument vorbei.

Nachdem die Schultern von Last befreit sind, schlendern wir ganz gemütlich durch die weitgehend ruhige Stadt. Große Grünflächen in den Herbstfarben, enge Gassen in der Innenstadt, alte Häuser mit bunten Fensterläden, einige wuchtige Prunkbauten und natürlich das Hafenbecken mit dem Rhone-Abfluss machen das Stadtbild aus.




Jenes Schiff, das uns gestern auf unserer Fahrt so fasziniert hat, sehen wir heute erneut.

Nachdem die Rucksäcke wieder vom Bahnhof abgeholt sind, folgen wir den Camino-Wegweisern zur Kathedrale Saint-Pierre Geneve, dem Höhepunkt des Tages und gleichzeitig dem Ende des Jakobsweges der Schweiz.

Die Kathedrale wirkt außen wie ein eher unstimmiges Konglomerat unterschiedlichster Baustiele: die dreischiffige, gotische Basilika stammt aus dem 12. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert wurde ein neoklassischer Säulengang an der Westfront und im 19. Jhdt. ein weiterer Kirchturm angefügt. Der Innenraum jedoch ist stimmig und ruhig.

Wie in Freiburg gelernt zögere ich nicht, die Gelegenheit zu nutzen, auf die Kirchentürme zu steigen und löse rasch zwei Tickets. Der Südturm beherbergt die Kirchenglocken und vom Nordturm aus bietet sich ein wunderbarer Ausblick über die Dächer der Stadt.

Der weite Blick zurück über den Genfersee, in Richtung des etwa 800 km Luftlinie entfernten Wien, löst große Dankbarkeit in mir aus. Ich bin froh, so weit gekommen zu sein.

Mit der Ankunft bei der Kathedrale von Genf endet auch der Wegführer „vom Bodensee zum Genfersee“. Dieser wird nun weggepackt und mit dem unverschwitzten, neuen Reisebegleiter „Via Gebennensis - von Genf nach Le Puy-en-Velay“ ein neues Kapitel dieser langen Reise aufgeschlagen.
Die ersten Kilometer dieses Kapitels führen uns in den Süden der Stadt Geneva und in die eigenständige Gemeinde Carouge, wo Julia eine nette Herberge (Auberge de Communale) gefunden hat. Die niedrigen Häuser, vielen kleinen Geschäfte, Restaurants und Cafes sowie der Marktplatz mitsamt Brunnen leuchten im Abendlicht und vermitteln eine mediterrane Atmosphäre.

Die Auberge wird von Italienern geführt, die uns zum Abendessen eine ausgezeichnete Pizza servieren. Wohlgesättigt und müde legen wir uns früh zu Bett, da wir uns morgen ein weites Wegstück vorgenommen haben.
Bonne nuit!

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