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Etappe 44 - Mezieres nach Morges

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Ein vorzügliches Abendessen und eine erholsame Nacht in der vorzüglichen Auberge de Mezieres später erwachen wir inmitten des dichten Nebels. Da das Frühstück im Haus erst um halb 9 verfügbar ist, entscheiden wir uns dagegen. Ein Joghurt, ein Apfel und ein Vollkornweckerl - ein Ragusa-Croissant, ein Schoggiweggliund ein Laugenbrezel: ein jeder hat Frühmorgens andere Vorlieben. Einige hundert Meter über einen windigen und kalten Hügel führen uns zurück nach Ecorcheboeuf, und damit auf die Route des Jakobsweges durch die Romandie.

Mit dem flotten Schritt meiner Schwester bin ich heute Morgen durchaus einverstanden - hilft er doch den Körper gegen das kühle Nass auf Betriebstemperatur zu bringen. In einem Waldstück steigen wir kurz zum Bach Bresonne ab und queren diesen, bevor es auf der anderen Seite wieder einige Meter hoch geht.

Hier treffen wir auf die kleine Kapelle La Cure und einen gegenüberliegenden, großen Hof.

Nachdem der Pilgerstempel eingesammelt und die aufliegende, alte Heilige Schrift bewundert ist, treten wir wieder nach draußen und werden von einer freundlichen Dame mittleren Alters angesprochen. „Malheureusement je ne parle pas français!“, sage ich fleißig auswendig gelernt auf und sie wechselt gekonnt ins Deutsche. Nach den üblichen Fragen nach Herkunft und Wegplanung erzählt sie, dass sie seit einiger Zeit eine Pilgerherberge betreibt und mit ihren pensionierten, freiwilligen Helferinnen heute den Weg nach Lausanne gehen möchte, um zu wissen, wovon man spricht, wenn man einen ‚guten Weg’ auf die nächsten Kilometer wünscht. Erst etwas später wird klar, dass sie das gegenüberliegende Anwesen mit „ihrer Herberge“ meint. Später lese ich nach, dass der malerische Hof unter dem alt-ehrwürdigen Baum bereits vor hunderten Jahren eine Pilgerherberge war. Ihr Angebot gehört unbedingt in die Wegführer aufgenommen, denke ich.

Nach 2 unangenehmen Kilometern der Bundesstraße entlang biegen wir auf einer Forststraße in den Wald ab und vertiefen uns in ein Gespräch. Vieles dreht sich um die Dogmatik der römisch-katholischen Kirche, deren hierarchische Führungsstrukturen und die Probleme, die sich daraus ergeben. Wir sind uns letztlich ziemlich einig, dass es einen großen Raum für moralischen Diskurs, gesellschaftspolitische Richtungsentscheidungen in der modernen Welt und auch den Wunsch von innerer Friedens- oder sogar Sinnsuche von vielen Individuen gibt, der leider von der Kirche unzureichend genutzt wird oder werden kann. Insbesondere so manch dogmatische Position widerspricht wohl oft der Lebensrealität vieler Menschen, in der es nicht nur „Schwarz“ oder „Weiß“ gibt sondern alle möglichen Farben dazwischen. Es sind Gedanken, die ich mir bereits des Öfteren gemacht habe.

Wir passieren ein Tierheim und instinktiv erinnere ich mich selbst daran, dass man, wie beim Tierschutz, auch selbst jeden Tag Zügel in der Hand hält um ‚Irgendetwas gut oder besser‘ zu machen.


Eine Hinweistafel macht uns darauf aufmerksam, dass wir nun eine Wasserscheide übertreten. Alle Gewässer nördlich davon entwässern schließlich in die Nordsee und alle südlich davon ins Mittelmeer. Es ist eine geologische Grenze, der man sich wohl nur ganz selten bewusst wird.

Die ersten Golfversuche dieser Trainingsgruppe erinnern mich an Papa und meine Brüder, die in den letzten Jahren ebenfalls mit dem Golfspiel begonnen haben.

Inmitten des Waldes, der am heutigen Samstag vielen Hundebesitzern ein Ausflugsziel ist, machen wir eine Pause und trinken Tee. Auf dem alten Wegstein ist die Stadt Lausanne bereits angeschrieben.

Der weitere Weg in die Großstadt verläuft weitestgehend im Grünen. Nachdem ein kleiner Vorort durchwandert ist, sehen wir beim Unterqueren dieser Brücke die Autobahn einmal aus einer anderen Perspektive.

Durch immer wieder stufenhaft abfallendes Gelände näheren wir uns dem Stadtzentrum von Lausanne, ohne es so richtig zu bemerken. Auf dem Weg liegen der Lac Sauvabelin, ein Teich mit Park und ein Aussichtsturm, von dem man bei besserem Wetter über den See hinweg bis zum Mont Blanc sehen kann. Am Rande des Parks gelangen wir zu einer weiteren Aussichtsplattform, wo wir zum ersten Mal den Genfersee erkennen können.

Unterhalb lädt ein unwahrscheinlich schönes Kunstmuseum samt Cafe zur Einkehr, doch wir wollen nun ankommen. Nicht einmal 1 km vor der Kathedrale von Lausanne gehen wir noch bei einer Schafweide vorbei.

Plötzlich in der Altstadt angekommen passieren wir das Chateu St. Maire, Sitz der Kantonsregierung, und erreichen gleich darauf die Kathedrale samt aussichtsreichem Vorplatz.

Bevor das eindrückliche, aus der nähe kaum fotographisch festzuhaltende Sakralgebäude besichtigt wird, setzen wir uns und jausnen. Die Strecke war bisher mit 20 km bereits ziemlich lang und eine Stärkung daher willkommen.


Die Kathedrale Notre Dame liegt im Herzen von Lausanne und gilt als edelstes Bauwerk der Schweizer Frühgotik. Mit dem Bau der imposanten Kathedrale wurde 1170 begonnen, 1275 wurde sie schließlich geweiht. Der Innenraum versetzt uns in Staunen.

Ein bemerkenswert schräges Detail verrät der Wegführer: Nach alter Sitte ruft ein Wächter (le guet) die Stunden zwischen 22 und 2 Uhr vom Mittelturm aus.


Die Stadt Lausanne, durch die wir nun den Schildern gelber Muscheln auf blauen Schildern folgen, ist mit etwa 140.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt der Schweiz. Die Geschichte der Stadt ist bis zu einer Handels- und Fischersiedlung am Genfersee zurückzuverfolgen. Ab dem 4. Jahrhundert verlagerte sich der Ortskern in Richtung der 5 Hügel, auf denen Lausanne heute liegt und ab dem 12. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt mit dem Bau der Kathedrale zu einem geistlichen Zentrum. Nachdem Lausanne 1915 zum Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) erklärt wurde und sich später weitere internationale Sportverbände ansiedelten, gilt die Stadt heute als Hauptstadt des Sports.

Durch hochfrequentierte Einkaufsgassen und an majestätischen Bauten vorbei steigen wir immer weiter zum See ab. Vor dem Justizpalast thront die Statue von Wilhelm Tell, der über die Pfadfinder hinweg auf den See hinaus schaut.

Im Verhältnis zur Größe der Stadt lassen wir die Hektik des Ballungsraumes bald wieder hinter uns und spazieren durch eine Gartenanlage, die dem Donaupark ein wenig ähnelt. Direkt anschließend führt uns die Route durch die Ausgrabungen der ehemaligen römischen Siedlung.

Dann ist es soweit: Der Genfersee ist erreicht! Was sich für mich wie ein Meilenstein anfühlt, hat für meine Schwester nicht ganz die selbe Wirkkraft. Eine gemeinsame Freude haben wir mit dem Genuss einer Tasse Kaffee und dem Blick über das Wasser.

Der Genfersee, im französischen auch Lac Leman genannt, ist mit 581 Quadratkilometern und 90 Trillionen Litern das größte Südwasserreservoir Westeuropas. Das Gewässer ist eine riesige Verbreiterung des Flusses Rhone zwischen Villeneuve und Genf. Die Distanz zum französischen Ufer gegenüber beträgt zwar nur etwa 14 km, durch das trübe Wetter scheint es jedoch so, an einem Meer angekommen zu sein, weil der Horizont kaum auszumachen ist.

Wir einigen uns hinsichtlich des Zielortes und brechen für die letzten 10 Tageskilometer auf. Der Weg verläuft nun beinahe ununterbrochen direkt am Genfersee entlang und gestaltet sich sehr abwechslungsreich. Aufgrund des trüb-windigen Wetters und der zunehmenden Müdigkeit können wir den reizvollen Wegabschnitt nur bedingt genießen. Der Badestrand von Preverenges, die Kirche von Saint-Sulpice und unzählige beneidenswert liegende Strandvillen gibt es zu beobachten. Zeitweise muss man sogar Acht geben, nicht ins Wasser zu fallen.

Erschöpft von einem langen Tag treffen wir gegen 17 Uhr in der Kleinstadt Morges ein. Der rasche Wechsel in das warme Klima eines Supermarktes bekommt meinem Körper recht schlecht. Ich reflektiere am Abend und komme zum Schluss, dass es Zeit wird der Physis eine Pause zum erholen zu geben.

Gestern Abend hatte meine Schwester nach einer „ordentlich langen“ Etappe gefragt: eine ziemlich ordentlich lange Etappe ist es geworden.


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