Ziemlich verschlafen quittiere ich den Wecker an diesem Sonntagmorgen und fechte einen kurzen Kampf gegen meinen Schweinehund aus. Der weitgehend ungetrübte Blick ins Hochgebirge ist schließlich ein unbesiegbares Argument, aufzustehen. Beim Frühstück wird der zurechtgelegte Plan verfeinert und die Fahrzeiten der Bahn notiert bzw. Tickets soweit möglich gebucht. Ich habe vor, den Tag aufzuteilen: Am Vormittag möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Eiger, Mönch und Jungfrau einen Besuch abzustatten und am Nachmittag will ich wieder zur Routenführung des Jakobsweges zurückfinden.
Die schweizer Lokalbahnen sind erwartungsgemäß pünktlich und ich erreiche den Ort Grindelwald nach etwa 30 min Fahrzeit. Der Ausgangspunkt der Seilbahnen „Eiger-Express“ und „Maennlichenbahn“ erinnert statt an eine Talstation eher an einen Flughafenterminal und trägt auch letzteren Namen. Natürlich können auch hier teure Uhren erworben werden… ;)

Ich bin sehr froh über mein „halb-tax“ Abo und löste mit 16 Euro eine vergünstigte Karte für den Eiger-Express. Die Seilbahn ist sehr neu und setzt hinsichtlich der Dimensionen neue Maßstäbe. Ich hätte es mir auch nicht vorstellen können - aber so sieht eine Gondel mit 27 Sitzplätzen aus.

Etwa 15 min später steige ich auf 2320 Metern Seehöhe aus und befinde mich in der modernen Bergstation „Eigergletscher“. Von hier aus kann man auf die Jungfraubahn umsteigen, die durch den Eigerfels bis zum 3.454 hm gelegenen Jungfraujoch führt. Der Gesamtpreis (ohne Vergünstigungen) für eine Fahrt zum Jungfraujoch beträgt vom Tal aus wohlfeile 195 Euro. Ich schaue hinauf und sehe dichte Nebelschwaden im Bereich dieser Bergstation hängen - ein Grund mehr, von einer Fahrt heute abzusehen.
Stattdessen trete ich nach Draußen und stehe unmittelbar am Fuß des Eigergletschers. Es dauert einige Minuten, bis ich die Situation richtig einordnen kann: so nah war ich einem Gletscher noch nie zu vor!

Das Felsareal, das vom Eigergletscher „geschliffen“ wurde ist gigantisch. Während ich noch darüber nachdenke, unterbricht plötzlich ein starker Windstoß meine Überlegungen. Ich erinnere mich von der Südföhnwetterlage gelesen zu haben und bin wenige Schritte weiter bereits damit beschäftigt, mich auf den Beinen zu halten. Eine Dame in der Nähe kippt durch die enormen Sturmböhen zu Boden.
Ohne unsere ausgereiften technischen Hilfsmittel hätten wir Menschen hier heroben absolut gar nichts verloren.. geht es mir durch den Kopf, als ich zum „Eiger-Trail“ hinübergehe. Um die Umgebung hier wahrzunehmen, möchte ich zumindest eine kleine Runde gehen. Ich passiere den Nebengipfel Rotstock und komme zu einem Aussichtspunkt. Zu meiner Rechten thront die legendäre Eiger Nordwand, geradeaus ist die Ortschaft Grindelwald auszumachen und linkerhand befindet sich das Lauberhorn sowie die Wengernalp, bekannt aus dem Ski-Abfahrtsweltcup. Die Nordwand des 3967 Meter hohen Eigers ist gewaltig, anziehend und zugleich furchteinflößend. Wie viele beim Versuch, diese Wand zu bezwingen wohl bereits ihr Leben verloren haben?
Ich trinke einige Tassen Tee und lasse diese atemberaubende Naturlandschaft auf mich wirken.

Auch bei der Rückfahrt mit dem Eiger-Express ist der durchgreifende Südföhn deutlich spürbar. Trotz der 3-Seil-Konstruktion und der schwere der großen Gondel schiebt der Wind die Kabine hin und her.
Nach weiteren 35 min Zugfahrt und einem Jauseneinkauf in Interlaken orientiere ich mich am Gewässer und folge dem Fluss Aare und dessen Kanal / Nebenarm Richtung Westen.

Das blaugrüne Wasser fließt meist sehr ruhig. An einer Stelle beobachte ich, wie aus der beinahe spiegelglatten Oberfläche ein wildes Strudeln wird. Beim Gehen fällt es mir heute nicht leicht, meinen Rhytmus zu finden. Nach den ereignisreichen letzten Tagen stellt sich eine gewisse Langeweile ein, die zu akzeptieren erst wieder geübt sein will.

Ein Naturschutzgebiet führt mich durch ehemaliges Überflutungsgebiet dem Thunersee Richtung Nordwesten.

Bald darauf erreiche ich den Ort Neuhaus, dessen lange Geschichte mit dem Güter- und Personenverkehr zwischen den beiden Seen zu tun hatte. Heute wird das schöne Strandrestaurant von 3 großen Campingplätzen umsäumt.

Im Anschluss gehe ich das Nordufer des Thunersees entlang, wobei sich ein häufiges Auf und Ab einstellt. Die aufgeladene Luft liegt schwer und warm in der Senke des Sees und auch meine Beine fühlen sich schwer und träge an. Dieser Umstand ist nach dem gestrigen Tag zwar nicht wirklich verwunderlich aber dennoch anstrengend.

Einige Höhenmeter über dem See passiere ich die Beatushöhlen. Ich lese nach und erfahre, dass es sich um einen alten Wallfahrtsort handelt. In der Tiefe des Niederhorns befinden sich weitreichende Höhlen, Gänge und Seen, von deren Gsamtausdehnung etwa 1km besichtigt werden kann. Nach einem Blick auf die Uhr und der Kontrolle der Restzeit bis zur letzten Fähre in Merligen lasse ich eine Besichtigung aus.

Über einen schmucklosen Forstweg umwandere ich anschließend ein Kies-Abbaugrube. Der Blick hinunter erzeugt eine eigenwillige optische Täuschung.

Schließlich erreiche ich müde die Ortschaft Merligen. Bei Neuhaus noch als Einzelphänomen abgeschriebene Palmenpflanzungen beginnen sich hier merklich zu häufen und ich muss doch recht schmunzeln: Noch vor wenigen Stunden stand ich neben dem „ewigen Eis“ und hier scheinen mediterrane Pflanzen zu gedeihen.

Das neben der Schiffsanlegestelle gelegene Kurhotel hat für eine Hochzeitsfeier geschlossen und so warte ich die halbe Stunde bis zum Eintreffen des Schiffs am Steg ab.

Während der Überfahrt ans Südufer hängen die Wolken schon tief und es wird rasch dünkler. Nach etwa 30 min stürmischer Fahrt kommt der Hafen der Stadt Spiez in Sicht. Die Segelboote und das beleuchtete Schloss samt Weinberg zeichnen ein schönes Stadtbild.

Das Hotel ist rasch gefunden, ein ausgezeichneter Italiener ebenfalls. Ich beschäftige mich mit der weiteren Routenplanung - die insbesondere vom verregneten Wetter der kommenden Tage abhängen wird. Dass es morgen Früh regnen soll kommt mir allerdings nicht ungelegen: es wird Zeit, ein wenig zu regenerieren!
Gute Nacht :)

Comments