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Etappe 36 - Kaiserstuhl am Lungernersee nach Brienz

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Das wärmende Ambiente eines offenen Kamins war eine Wohltat gestern Abend, der Nachteil daran ist jedoch, dass das Gewand danach ziemlich stinkt. Nach dem Frühstück verlasse ich den Gasthof, wo mich die kühle und feuchte Luft zu rascher Bewegung antreibt. Außer mir sind heute Morgen nur eine Handvoll Fischer am See, der an vielen Stellen über seine Ufer getreten ist. Meine Route führt mich dem Westufer entlang an Bauernhöfen vorbei. Deutlich hörbar ist der Verkehr von der gegenüberliegenden Schnellstraße und das Knattern eines Helikopters, der für Forstarbeiten an einem extrem unzugänglich steilen Berghang eingesetzt wird. Kurz vor der Ortschaft Lungern treffe ich eine liebesbedürftige Katze.

Nach der Ortschaft Lungern beginnt der Aufstieg zum Brünigpass über den Chäpellistieg. Die Strecke deckt sich zunächst mit einem Kreuzweg und einem Archäologielehrpfad.

Der Steig macht einen sehr alten Eindruck und ich denke darüber nach, wie viele Menschen diesen Weg wohl schon gegangen sein mögen.

Überall sind die Auswirkungen der inzwischen wochenlangen Regenfälle zu sehen. Mitten auf einer Waldlichtung vor dem Pass hat sich ein großer See angesammelt.

Ich erreiche den Brünigpass auf 1.008 Hm, wo ein kalter Wind weht. Bei einer Trinkpause ziehe ich rasch eine Weste an, esse ein paar Stück Schokolade und lese in meinem Wegführer. Der Pass markiert außerdem den Übergang von der Innerschweiz und dem Kanton Obwalden in das Berner Oberland. Selbst hier oben ist man wie fast überall in der Schweiz öffentlich gut angebunden.

Als ich weitergehe, muss ich mir einen gewissen Wehmut über die verheißenen, aber verwehrten Ausblicke in das ‚ewige Eis‘ des Hochgebirges eingestehen.

Kurz nach dem Pass zweigt der Fußweg wieder von der Verkehrsroute ab. Hier überholt mich ein Bergbauer in seinem Pickup und bleibt stehen um mich auf mein Vorhaben anzusprechen. Nach einem kurzen aber sehr netten Plausch marschiere ich durch sein idyllisches Vorsäss und lese an der Stallwand von einer landschaftspflegerischen Auszeichnung.

Die Begegnung mit dem, mir namensgleichen Landwirt erweist sich einige Minuten später nochmals als gute Fügung. Ich folge seiner Empfehlung, den kurzen Abstecher zu einer Aussichtsplattform zu nehmen und werde mit einem atemberaubenden Ausblick über das Tal des Flusses Aare belohnt.

Zeitgleich ergibt sich die sonnigste Stunde des Tages und mein aufkeimender Unmut vom Brünigpass ist verflogen. Überaus dankbar, für das, was ich hier erleben darf, bleibe ich eine Viertelstunde in der Sonne sitzen und schaue Richtung Westen auf den türkisgrünen Brienzersee hinunter.

Beflügelt, rasch aber aufmerksam bringe ich den rutschigen und steilen Abstieg ins Tal zum Brienzwiler hinter mich. Das Dorf hat sich mit hölzernen Bauernhäusern und deren alten Rankrosen ein bezauberndes Aussehen bewahrt. Mir fällt auf, dass sich auch die Bauweise wieder ein wenig verändert hat: Imposante Holzbalken tragen bis zu 3 Meter tiefe Vordächer über einer breiten Grundsubstanz. Ich erinnere mich, dass mir Paul bereits davon erzählt hat.

Auf dem Weg nach Brienz verdichten sich die Wolken wieder zunehmend. Neben dem Gehweg werde ich auf Holzskulpturen aufmerksam, die das gepflegte Handwerk der nahenden Stadt andeuten.

Die Stadt Brienz am gleichnamigen See bildet das touristische Zentrum der Region am Ostufer. Eingefangen von einer gigantischen, zu erahnenden Bergkulisse mit dem Rothorn im Norden und dem Faulhorn im Süden liegt die Stadt an steilen Berghängen und wurde in der Vergangenheit wiederholt zum Schauplatz katastrophaler Überschwemmungen. Nach dem Jahr 1870, als ein Großteil des Ortes zerstört wurde, führte ein Hochwasser 2005 zuletzt zu einer dramatischen Situation.

Im Hafen liegt das Schiff Jungfrau, das nach dem Viertausender der südlich liegenden Bergkette benannt ist. Direkt gegenüber findet man den Bahnhof der Strecke Luzern-Interlaken und das historische Gasthaus Weißes Kreuz sowie die Talstation der Rothorn-Bahn. Ich spaziere die gerade noch trockene Seepromenade entlang und komme bei einem Veranstaltungsort vorbei, wo ich mir ein Konzert vor der Kulisse der Berge und des Wassers ausmale.

Entlang der parallel verlaufenden Hauptstraße passen sich blumengeschmückte Häuser zierend in das Landschaftsbild ein. Eine Holzbildhauerschule samt Museum unterstreichen eine alte Handwerkstradition und berichten von einer Zeit um 1900, als hier mehr als 600 Schnitzer ansässig waren.

Als ein kurzer Regenschauer über den Berg ins Tal fällt finde ich Unterschlupf in der reformierten Kirche der Stadt. Im Innenraum werden mir sowohl die baulichen Unterschiede als auch die geschichtliche Bedeutung der Religionsspaltung bewusst. Auch in diesem Zusammenhang spielt der Brünigpass eine gewichtige Rolle als historische Grenze zwischen dem katholischen Obwalden und dem mehrheitlich reformierten Berner Oberland.

Nach einer weiteren Kontrolle der Wetterdaten und des weiteren Weges fasse ich nun den Entschluss, mein ambitioniertes Abschnittsziel in Freiburg aufzugeben. Den als schönsten Teil der Schweizer Via Jacobi bezeichneten Weg über die Seen bis in den Naturpark Gantrisch hinein möchte ich gerne bei gutem Wetter und einer Sicht auf die Giganten im Süden zu einem späteren Zeitpunkt bestreiten. Das folgende Bild zeigt weniger das bereits wieder verregnete Wetter als vielmehr meinen inneren Frieden mit dieser Entscheidung.

Ich esse eine wärmende Suppe und steige in einen Zug, der mich nach Interlaken bringt, wo ich eine nette Unterkunft finde.

Eine freudige Überraschung ergibt sich beim spontanen Besuch einer lieben Bekannten, die aus einem nahe gelegenen Seitental vorbeikommt. Vor ziemlich genau 10 Jahren habe ich die Schweizerin Susan während meines Auslandseinsatzes mit dem Militär im Kosovo kennengelernt, wo wir Österreicher gemeinsam mit den Schweizer Kollegen das Medical Center im Camp Casablanca betrieben haben. Nach 6 spannenden gemeinsamen Monaten sind wir alle wieder unserer Wege gegangen; heute gibt es ein freudiges Wiedersehen. Schon bald vertiefen wir uns in Gespräche darüber, wie stark ein Wohnort den Charakter prägen kann und sogar darüber, wie gesellschaftlich ehrlich in unseren Ländern mit dem Sterben umgegangen wird. Bevor ich die Möglichkeit auf ein kleines Abendessen verpasse verabschieden wir uns nach einer kurzweiligen Begegnung. Danke, Susan!

Vor dem Schlafengehen suche ich nach einer Zugverbindung ins südlich gelegene Visp, wo ich morgen meine Schwester Anna und ihren Freund Matt treffen werde. Wir haben uns statt zwei erhofften gemeinsamen Tagesetappen ein Kulturprogramm in der Westschweiz überlegt, auf das ich mich nun auch sehr freue.


Mit einer kurzen Reflexion über die bisherige Zeit in der Schweiz und einem kleinen Ausblick möchte ich mich bald wieder melden, bedanke mich für euer Mittragen und wüsche allerseits „an scheen Urlaub“!

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