Nachdem meine gestrige Unterkunft trotz dem Titel „Hotel“ kein Internet zu bieten hatte, reiche ich den gestrigen Tag eilig nach:

Bei offenem Fenster im Stadtzentrum konnte ich die ausgelassene Stimmung in der Nacht lang hören und so dauert es gestern entsprechend lang bis ich in tiefen Schlaf falle. Bei einem kurzen Morgenspaziergang durch die jetzt ruhige Altstadt kann ich nochmals die öffentlichen Rosengärten bewundern bevor ich mich Richtung Brücke aufmache.

Die Verbindung zwischen Rapperswil und Pfäffikon verläuft über eine Halbinsel mit der Siedlung Hurden. Naheliegend, dass diese Engstelle des Sees schon sehr früh genutzt wurde. Parallel zur Straßen- und Bahnbrücke verläuft ein reizender Holzsteg. Zwischen dem Qietschen der frisch geschlüpften Entenkücken gibt er den Blick auf die südlich liegenden Ufer und dahinter thronenden hohen Berge frei. Man grüßt sich mit „Gute Morgää!“.



An einem sumpfigen Seeufer-Naturschutzgebiet entlang und dann durch die wenig schmuckhafte Stadt Pfäffikon beginnt der Weg bald steil anzusteigen. Die ärmellose Shirtvariante kommt wieder zum Einsatz und ich kämpfe mich die Steigung zum Etzelpass hoch. Ehrliche Rennradfahrer versuchen sich mit den vielen e-Bike Fahrern auf der Passstraße zu messen und ich bin froh, dass der Fußweg nach einem Rückblick auf den Zürichsee bald in den schattigen Wald abbiegt.


Kurz vor dem Pass kommen mir zwei Wandersleute laufend entgegen und ich reagiere schnell genug um sie abzufangen: „Wir kennen uns doch?!“ Wie es der Zufall will, treffe ich hier auf bekannte Gesichter. Die Beiden wohnen in Pfäffikon und hatten einen schnellen Ausflug quasi auf ihren Hausberg gemacht. Wir plaudern und schießen ein Erinnerungsfoto.

In der Kapelle am Etzelpass erzählt das Deckengemälde von der Geschichte des Mönchs Meinard, der hier im 9. Jhdt. lebte, bevor er weiter nach Einsiedeln zog. Die Legende besagt, dass der Mönch von zwei Räubern ermordet wurde und seine zahmen Raben die Täter bis Zürich verfolgt hätten um sie zu stellen. Die Kapelle samt benachbartem Gasthof haben einen schönen Ausblick und laden zum verweilen oder auch übernachten ein.

Ich wandere die Passstraße hinunter und passiere die alte Teufelsbrücke, vor der ein Gedenkstein an den hiesigen Geburtsort des Arztes Paracelsus erinnert. Als die Route etwas später wieder vom Asphalt abweicht fällt mir auf, dass ich meine Wanderstöcke in der Kapelle am Pass vergessen habe. Ich ärgere mich, weil ich die Situation schon kommen gesehen habe und beiße mich wieder den Pass hoch. Währenddessen überlege ich, ab welcher Distanz ich erwogen hätte, die Stecken liegen zu lassen..? Frei nach einem bekannten Spruch würde der Schweizer vielleicht sagen: „Wers nüd im Chopf hät, der häts in di Füaß!“ - Lösungsorientiert lege ich mir einen Plan zurecht, der den gleichen Fehler in Zukunft verhindern soll. Die „standard operating procedure PAUSE“ ändert sich insofern, als die Stöcke immer auf den abgelegten Rucksack oder vor die Ausgangstüre gestellt werden müssen. Hoffentlich habe ich etwas daraus gelernt!

Der warme Tag hat die Bauern zum Mähen bewogen und das „Heign“ ist in vollem Gange. Ich steige zu einem großen Hof hinauf und beobachte wie auch die letzten Tage schon mehrere Greifvögel. Ich kann mich nicht erinnern, schon jemals so eine Dichte erlebt zu haben.

Im Anschluss wandere ich über eine Hochebene mit weitem Blick in die Berge, bis der angestaute Siehlsee sichtbar wird. Die Kühe halten vor diesem prächtigen Panorama Siesta.


Ich bleibe oberhalb des Sees und steige zur Stadt Einsiedeln ab, die nördlich von Skisprungschanzen und südlich von dem Klosterkomplex eingefasst in einer milden Senke liegt.
Das Benediktinerkloster Einsiedeln gilt als der wichtigste Wallfahrtsort der Schweiz und markiert einen Knotenpunkt verschiedener Pilgerwege, insbesondere der Jakobswegvarianten aus Deutschland über Konstanz und aus Österreich über St. Gallen oder aus dem Inntal über Rankweil und das Appenzellerland.


Ich wasche mein Gesicht an einem Parkbrunnen und bleibe vor der imposanten Fassade der Klosteranlage stehen. Der weitläufige Platz vor dem Kloster ist von Halbrundarkaden eingefasst, die dem Petersdom im Rom nachempfunden sind. Das Gotteshaus teilt sich in den vorgelagerten Altar der schwarzen Madonna und den Hauptaltar. Ein reges, aber behutsames Treiben umgiebt das Herzstück des Wallfahrtsortes. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen aus vielerlei Gründen Orte wie diesen aufsuchen: Eine lange Krankheit, eine plötzliche Lebenswendung, ganz besondere Erinnerungen, touristische Neugierde oder die Zwischenstation auf einer längeren Reise, wie in meinem Fall. Ich glaube: Aus welchem Grund man auch kommt; die Erwartung, die Geschichte des Ortes sowie dessen räumlicher und visueller Eindruck haben einen Einfluss auf unser Inneres. Zugegeben, diese Sprache ist vielleicht nicht so universell wie die Musik - aber man kann nicht behaupten, dass sie ohne Wirkung bleibt.

Wie schon erwähnt, gefällt es mir, wenn eine Klostergemeinschaft „mitten im Leben“ steht. Hier sind 120 Menschen angestellt und arbeiten in verschiedenen Bereichen. Das Kloster betreibt ein Gymnasium mit weitläufigen Anlagen, eine Gärtnerei mit Verkaufsräumen, eine historisch gewachsene Pferdezucht, einen Klosterladen und übernimmt umfassende Forst- und Landwirtschaftsarbeiten.

Ich besuche eine Bäckerei und kaufe die Einsiedler Spezialität „Schafböcke“, ein Gebäck aus Honig, Zucker und Mehl. Während ich sie am Vorplatz probiere und feststelle, dass mir das Lebkuchengewürz fehlt, mache ich mir Gedanken hinsichtlich des Tagesziels. Ohne Internet und nach frustranen Kontaktversuchen der Unterkünfte im Alptal suche ich die Touristeninformation auf. Auf dem ungewohnten, analogen Weg ist Fr. Sabine sehr hilfsbereit und rasch erfolgreich. Im Talschluss wird ein Zimmer im Hotel Brunni reserviert.

Um 15 Uhr betrete ich nochmals die Kirche und erhalte einen persönlichen Pilgersegen. Auch hier gilt: Selbst wer an den christlichen Formulierungen aneckt, muss zugeben, dass persönliche Zuwendung und das ausgesprochene Erbitten eines Segens Kraft und neuen Mut geben. Mit diesem Rückenwind starte ich ins Alptal und beschreite zum zweiten Mal einige ungewollte „Überstundenkilometer“. Beim Kloster Au finde ich wieder zur Beschilderung des „Via Jacobi“. Als ich im Wegführer nachlese kann ich es kaum glauben: die Benediktinerschwestern vor Ort pflegen seit 1845 (!) die „ewige Anbetung“. Das bedeutet, dass 24 Stunden am Tag ununterbrochen gebetet wird, wobei sich die Ordensfrauen untereinander abwechseln.

Taleinwärts folge ich dem Flussufer der Alp und komme bei Fliegenfischern und einem Jungscharlager vorbei. Wo ein Seitenbach in den Fluss mündet, finde ich einen einladenden Rastplatz.

Nach mindestens 4 Kilometern mehr als notwendig gewesen wären erreiche ich das Hotel - eher Gasthof - Brunni. Es liegt am Fuß eines kleinen Skigebiets und der imposanten Bergspitzen „Großer und kleiner Mythen“. Während ich meine Flädlesuppe esse, blitzt die Sonne noch einmal ins Tal, bevor ein kräftiges Gewitter über den Bergen bricht.


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