Das Zimmer im Gasthof National war passabel, der Schlaf tief und fest. Der Blick aus dem Fenster stimmt positiv: kein Regen. Nach einem kurzen Frühstück in einer Bäckerei nehmen wir den Tag, der uns zum Zürichsee bringen wird, in Angriff.

Gleich hinter dem Bahnhof steigen wir einen Hügel hinauf und kommen bald bei der Ruine der Burg Iberg vorbei. Kräftiger Wind drängt in das Thurtal und im Panorama hinter uns hängen die Wolken noch tief. Wieder fällt auf, wie dicht besiedelt die breiteren Täler sind.

Weitere 300 Höhenmeter führen uns zur Bergkuppe Haid hinauf. Das Foto ist nicht unscharf: Ob der starken Regenfälle haben sich einige Gehwege zu kleineren Bächen entwickelt.

Die Bauern der Höfe auf fast 1000 hm bedanken sich schriftlich auf ihren Siloballen für die abgelehnten Agrarinitativen und ich kann mir ein bitter-fragendes Schmunzeln nicht verkneifen. Mit verschwitzten Shirts wird uns schnell kühl und wir legen Pullover und Stirnbänder an.

Bald nach der Kuppe geraten wir mit Franz ins Gespräch. Der Pensionist erzählt mit einem leuchten in den Augen von zahlreichen spannenden Begegnungen, die er mit unterschiedlichsten Menschen hier am Jakobsweg hatte. Eine liebenswerte Einladung auf eine Tasse Kaffee müssen wir mit einem Blick auf die Uhr dankend ablehnen. Wir nehmen die Empfehlung für eine Unterkunft im Kloster am Rande des weiteren Wegverlaufs mit und gehen Richtung Südwesten weiter abwärts. Der Input des Mannes stößt Gespräche über das Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Religion so wie die gesellschaftliche Rolle der Religionen in bewegten Zeiten an. Gerade heute, so finde ich, entstehen viele neue moralisch-ethische Fragen und Probleme durch rasche naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen. Bei der Erörterung dieser Themen und der Erarbeitung von gesellschaftlichem Konsens würde ich mir eine aktive und moderne Kirche wünschen.

Die Zeit fliegt im angeregten Gespräch dahin und wir erreichen die Ortskirche von St. Gallenkappel. Die Botschaft im Altarbild könnte meinem Projekt entsprechend nicht treffender sein: „Deine Seele einfach mal baumeln lassen“ (Ich hoffe, meine schweizer Freunde sind mit der Übersetzung einverstanden?)

An beinahe jeder Hauswand sind größere Mengen Holz gestapelt, meist in penibler Perfektion. Einen dieser schönen, fast künstlerischen Anblicke musste ich festhalten.

Inzwischen haben sich die meisten Wolken verzogen und wir freuen uns über den bereits vermissten Sonnenschein. Das Grün der Wiesen und das Blau des Himmels strahlen.

Wir erreichen die Kapelle in Neuhaus, einem Kreuzungspunkt alter Pilgerwege.

Hier trennen sich unsere Wege, da Julia arbeitsbedingt wieder zurück nach Wien reisen muss. Es ist ein schwerer Abschied nach den letzten Tagen, die durchaus herausfordernd waren. Ich bin dankbar für die gemeinsame Zeit und die einprägsamen Erlebnisse. Danke, Julia!

Ihr Weg führt sie südlich zum Zug in Schmerikon, meiner verläuft westlich nach Rapperswil. Ich brauche eine ganze Zeit lang, um mich im Alleinsein wieder zu finden, trotte durch den Ort Eschenbach und verpasse eine Abzweigung. Aus dem Orientierungsverlust entwickelt sich die reizvolle Wanderung durch ein sumpfiges Naturschutzgebiet, das parallel zum See verläuft. Ich versinke in Musik vor dem inneren Ohr und in Gedanken zum „Gesellschaftswesen Mensch“ bis ich entschieden feststelle: Ich gehe nicht allein, ich gehe mit Gott.
Vor Jona lege ich eine Pause ein und trinke einen mitgebrachten alkoholfreien Apfel-Radler um festzustellen, was ich mir davor schon gedacht habe: es wird beim Probieren bleiben. ;)

Mittlerweile ist es heiß geworden und der Wanderweg dirigiert mich dem Seeufer entlang beim Strandbad vorbei. Ich überhole eine Ausflugsgruppe Pensionisten und bleibe bei Fragen zu meinem Vorhaben hängen. Einer der Teilnehmer berichtet mir von seiner damaligen Pilgerreise nach Rom.
Wenige Kilometer vor Rapperswil komme ich an dieser schönen Kirche direkt am See vorbei. Ich lese über den geschichtsträchtigen Ort, dass hier Hafenanlagen aus der Römerzeit gefunden wurden.

Schließlich erreiche ich die Stadt Rapperswil-Jona. Funde belegen eine Siedlungsgeschichte, die mehr als 5000 Jahre in die vorchristliche Zeit zurückreicht. Das heutige kulturelle Zentrum im Bereich des Obersees präsentiert sich an diesem Spätnachmittag von seiner besten Seite und ist ausgesprochen sehenswert. Zunächst spaziere ich über die Seepromenade mit mediterranem Flair und lasse das geschäftige Hafentreiben bei einem Feierabendbier auf mich wirken.


Die Altstadt mit ihren mittelalterlich engen Gassen und Häusern ist voll von kleinen Handwerksgeschäften und Tapas-Bars.

Ich checke im Hotel Jakob ein, wasche mich und meine verschwitzte Wäsche und steige danach zum Schloss, der Kirche und einer atemberaubenden Aussichtsplattform auf. Wie die blauen Herren der Kunstinstallation bleibe ich staunend stehen.

Am Fuß der Anhöhe liegt ein Weingarten, der schon im Jahr 981 (!) erwähnt wurde.

Die Rosen auf dem Wappen der Stadt sind kein Zufall: In einer Vielzahl von öffentlichen Rosengärten blühen etwa 15000 Stöcke von ca. 600 verschiedenen Sorten.

Nach dem Abendessen besuche ich nochmals den Platz vor dem Schloss, das für größere Feiern gebucht werden kann und komme gerade rechtzeitig für den Sonnenuntergang.

Rapperswil am Zürichsee wird einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ich freue mich auf morgen!
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