Herisau gilt dem Wegführer nach als Tor in das Appenzellerland. Wir erwachen ausgeruht und mit Blick auf die Stadtkirche, auch die Schwellung am Knöchel hat deutlich abgenommen. Doch gleich vorweg: es wird keine einfache Etappe werden.

Nach wenigen Metern beginnt es bereits zu regnen und der Blick ringsum verheißt: die Nässe wird bleiben. Die Regenjacke habe ich auf meiner Schönwetterpilgerschaft zuletzt in Niederösterreich gebraucht, der Regenschutz für den Rucksack ist neuwertig. Hinter Herisau steigen wir Richtung Süden auf den etwa 900 Meter hohen Nieschberg hoch und bekommen einen eindrücklichen Vorgeschmack darauf, was uns heute erwartet: Hängende Wolken, ziehende Nebelschwaden und jede Menge Nass.


Pause ist übertrieben: Beim Trinkstop schauen wir uns hoffnungsvoll nach aufhellendem Himmel um. Als der Rucksack wieder geschultert wird tröpfelt Wasser von kleinen Depots der Regenbekleidung den Nacken und Rücken hinunter.

Die Griffe der Wanderstöcke sind klebrig vollgesogen mit Feuchtigkeit, der Blick gesenkt und die Schritte darauf bedacht, weder auszurutschen noch in tiefe Wasserlacken zu steigen. Die Route kurzfristig zu verlieren führt rasch zu Ärger und die verheißenen „wunderschönen Ausblicke ins Gebirge“ bleiben leere Zeilen im nassen Wanderführer. Kurzum: Ein Mentaltraining in Sachen Durchhaltevermögen. Das Weidevieh ist vom mittlerweile strömenden Regen wenig beeindruckt.


Nach etwa zwei Stunden passieren wir den Weiler Risi bei Schwellbrunn und fassen den Plan, bei der nächsten Gelegenheit einzukehren. Zu stark ist inzwischen der Regen, zu Kalt die Glieder. Mit Ausnahme des gut geschützten Rucksacks sind wir nass bis auf die Unterwäsche und werden zu unserer großen Freude ganz herzlich im Gasthof Hirschen empfangen. Die entzückende Gastgeberin bietet an, unsere triefende Kleidung zu trocknen, kocht Kaffee und Tee samt Mehlspeise auf und vertreibt unsere Zeit mit Karten- und Würfelspiel. Wir fühlen uns sehr wohl und so sind einenhalb Stunden rasch vergangen. Mit einem Grinsen ins Gesicht brechen wir wieder auf.

Auf der „Sonnenterrasse“ des Bergrestaurants Sitz können wir uns schwärmend eine Mittagsrast ausmalen, doch zufrieden sind wir auch damit, dass der Regen langsam nachlässt und sich sogar die gegenüberliegende Spitze des Säntis erahnen lässt. Von der Spitze des 2.502 Meter hohen, markanten Berges kann man rundum in 6 verschiedene Länder sehen!

Glücklich darüber, dass der Regen aufgehört hat, beginnen wir mit einem 6 km langen Abstieg bis Sankt Peterzell. Am Weg Richtung Südwesten kommen wir in der Ortschaft Chäseren vorbei - der Name weist auf die Tradition des Käseherstellung in der Region hin. Schließlich ist der „Appenzeller“ nach diesem Kanton benannt. Es fühlt sich jedenfalls sehr gut an, Richtung Licht zu gehen während hinter uns der Donner bedrohlich in den Bergtälern grollt.

Nach etwa 350 Höhenmetern bergab erreichen wir die 1000 Einwohner-Stadt St. Peterzell. Als wäre Nichts gewesen wird uns warm und kurze Ärmeln sind angemessen. Neben einigen sehr alten Holzhäusern zieht die Ortskirche in ihren Bann. Die Kirche ist zugleich schlicht und barock gestaltet - ein Widerspruch, der einer angenehmen Raumwirkung keinen Abbruch tut.


Im kleinen Dorfladen holen wir einen Pilgerstempel und eine Tafel Ragusa-Schoki, danach überschreiten wir den regenbedingt reißenden Fluss Necker im gleichnamigen Tal und steigen zum Weiler Hochstetten auf, wo traditionelle Holzhäuser aus dem 17. Jahrhundert in ihrer vollen Pracht samt Bauerngärten stehen.

Weitere 200 Höhenmeter führen uns westwärts zum Ausflugslokal Churfisten oberhalb von Heiterswil. Der durchwachsene Tag bietet sogar einige Minuten Zeit für eine Sonnenbrille - heute war es mir wichtig, das festzuhalten.

Ein zeitweise steiler Abstieg führt uns knapp 600 Höhenmeter ins Tal hinab. Ringsum ziehen erneut dichte und dünklere Wolken auf, die argwöhnisch beäugt werden.

Auf einem Foto unmöglich festzuhalten: Der Weg führt uns an einem bildhübschen Bauernhof vorbei. Prachtvolle Balkonblumen vor alter Holzfassade, ein beeindruckender Gemüsegarten mit vielen Sorten, allerlei Tiere in angemessenem Lebensraum, eine Sonnenterrasse und ein Grillplatz - eine perfekte Idylle.

Gegen 16:30 erblicken wir das Thurtal samt der Stadt Wattwil. Während es auf den letzten Metern wieder zu regnen beginnt treffen wir auf eine liebe wandernde einheimische Pensionistin, die uns den Weg zum Ortszentrum weist. Die Suche nach einer Herberge verläuft zunächst frustran, im Gasthof National lässt sich der Abend bei guter Küche aber noch retten.
bis morgen ;)
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