Die ersten Sommernachtdienste bei geöffneter Nachtgastronomie sind geschafft und ich fahre mit einem vollen Auto Richtung 20 Tage Urlaub. Vor mir liegt der Plan, 10 Tage durch die Schweiz zu pilgern und anschließend direkt nach Kärnten zum Berg- und Seenurlaub zu fahren. Nach einer Übernachtung im verregneten Bregenz rolle ich über die Grenze und muss mich bei der Parkplatzsuche in Rorschach ziemlich ärgern. Ein undurchsichtiges System aus verschiedenen Parkzonen und überteuerte Garagen lassen mich durch die Kleinstadt am Bodensee rotieren. Schließlich ist der Beamte der Schweizer Bundesbahnen behilflich und wir buchen ein Parkticket für den „park and rail“ Bereich. Wenige Schritte weiter treffe ich im Hafen ein, dem Platz an dem ich die Schweiz vor wenigen Wochen per Schiff verlassen habe.

Ein ungewohntes Bild in diesem Schönwetterblog: Im Osten die zweite Hitzewelle - am Bodensee hält sich der Himmel bedeckt. Unweit des Hafens komme ich am Jakobsbrunnen vorbei.

Durch die organisatorischen Erschwernisse ist es inzwischen schon 11 Uhr vormittags und höchste Zeit, die Kleinstadt am See zu verlassen. 150 Höhenmeter führen über den ersten Hügel - trotz 17 Grad wird es rasch warm. An dieser Stelle wird es Zeit, meine Wegbegleiterin für die kommenden 3 Tage vorzustellen: meine gute Freundin Julia wandert einige Kilometer mit mir durchs Land der Eidgenossen und ich freue mich sehr darüber!

Über Vorder-, Mittel- und Hinterhof steigen wir langsam aber stetig nach oben. Immer wieder drehen wir uns um und schauen wie die hiesigen Kühe auf den mächtigen Bodensee zurück. Die Schlucht, die der Fluss Goldach in die Landschaft gezogen hat, zwingt uns einige Meter abzusteigen. Die steinige Flussenge heißt Martinstobel, der Blick von der Brücke erzeugt ein flaues Magengefühl - die „STOP“ Aufkleber am Geländer, die Suizide verhindern sollen, ebenso.

Am Gegenhang steigen wir hoch während rundherum Dampf und Nebel aufsteigen. Nach etwa einer halben Stunde passieren wir einen Bauernhof und Julias Tierliebe leitet eine kurze Trinkpause ein.

Wir gelangen in ein breites und dicht besiedeltes Hochtal, das uns nach St. Gallen führen soll. Die siebentgrößte Stadt der Schweiz hatte durch seine Textilverarbeitung bereits frühe geschichtliche Bedeutung erlangt. Heute ufert sie dem West-Ost Tal entlang aus - auch an den Seitenhängen klettern Wohnsiedlungen immer weiter empor. Am Stadtrand haben wir eine meiner lieben Begegnungen mit Schafen. Es wirkt, als hätte man ihren jahrhunderte alten Platz ringsum mit Wohnbauten zugestellt.

Dem südlichen Stadtrand folgend nähern wir uns dem Stadtkern und treffen am Weg auf den Organisator der Pilgerunterkunft St. Gallens und später auf die Linsebühlkirche, wo eine Probe für eine Diplomfeier stattfindet. Der gewinnende Klang zweier Trompeten und das Licht von bunten Scheinwerfern erfüllen den Innenraum.

Kurz darauf entdecken wir beim Spisertor ein modernes und einladendes Kaffeehaus und kehren ein. Die heiße Schokolade aus der Milchkanne und das Himbeerdessert schmecken hervorragend. Wieder bewahrheitet sich: Pausen sollen gemacht werden, wo sie anfallen.

Nach der Stärkung bummeln wir durch die engen Gassen der Altstadt mit schönen Plätzen und verzierten Kaufmannshäusern, nicht selten sind alte Fachwerksfassaden darunter. Der Einblick in den sogenannten Stiftsbezirk legt eine Wiederkehr eindringlich nahe. Ich bleibe mit großen Augen in der Stiftskirche stehen und staune:


Der Besuch der berühmten Stiftsbibliothek und das Besichtigen der vielen Nebenschauplätze reizen mich sehr. Nachdem die Zeit schon recht fortgeschritten ist entscheiden wir uns, weiterzugehen und passieren den Bahnhof sowie die Kirche St. Leonhard.
Anschließend zieht sich der Weg aus der Stadt heraus. Ungestüme, neue Wohnbauten und große Industriebetriebe erzeugen ein wenig ansehnliches Bild. Dazu entwickle ich eine zunehmende Müdigkeit und einen leicht schmerzhaften Druck im rechten Knöchel.

Am Stadtrand steigen wir südlich einige Meter den Hang hoch. Von hier aus wird deutlich, wie viel der nutzbaren Ebenen Fläche bereits versiegelt ist. Zugegeben: Ich hatte in der Schweiz ein anderes Landschaftsbild erwartet.

Der Weg streift den angestauten Grübensee und führt nun wieder durch Wälder und Wiesen. Nach den letzten Höhenmetern des Tages gehen wir durch einen gepflegten Friedhof zur Kreuzkapelle und gelangen in den Ort Herisau. Auch hier okkupieren Wohnprojekte die Flanken umliegenden Hügel während die typischen appenzeller Holzhäuser im Stadtkern den ursprünglichen Charme des Orts mit Wurzeln im 9. Jhdt erhalten.
Mein neuer Wegbegleiter, der Jakobswegführer von Hartmut Engel empfiehlt das Gasthaus Marktplatz. Das Haus wird zunächst verwechselt und wir werden am Empfang aufgeklärt, dass es sich hier um ein Pensionistenwohnheim handelt. Wir lachen und stellen fest, dass die Verwechslung durchaus als Kompliment für das Altersdomizil gelten kann.
An der richtigen Adresse beziehen wir ein Zimmer mit Blick auf die Kirche.

Nach dem Abstreifen von Schuhen und Socken erwartet mich eine böse Überraschung. Houston - we have a Problem!

Nachdem ich weder umgeknickt noch mir den Knöchel angeschlagen habe, kann ich die kräftige Schwellung nur auf einen Insektenstich gestern Nachmittag zurückführen. Das Problem ist recht eindrücklich, die Haut gespannt: Ich kann nur kühlen und hoffen, dass der rechte Knöchel morgen besser aussieht.
22.40 schweizer Franken für die Hauptspeise und 7 Franken fürs Achterl Wein - die Preise sind gewöhnungsbedürftig, doch zumindest schmeckt es ausgezeichnet. Nach dem Essen gehen wir mit England und Dänemark in die Verlängerung und machen uns Gedanken:
Morgen Regen, ein stark geschwollener Fuß? Ich versuche, dabei zu bleiben, mich nicht über Dinge zu ärgern, die ich nicht ändern kann und wir legen und bester Hoffnung schlafen.

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