
Die ersten einenhalb Stunden führen dem Radweg am Lechufer Flussaufwärts entlang. Am Rad bestimmt abwechslungsreich, per pedes ziehen sich lange Geraden eher hin. Der Lech ist zunächst stark reguliert, ufert nach einem Schotterwerk jedoch auf ausgedehnte Sand- und Schotterbänke aus.

Eine Radfahrerin bleibt stehen und fragt interessiert nach meinem Vorhaben. Seit längerem höre ich wieder ein „Buen Camino!“. Bei Weißenbach zweige ich Richtung NW ab und finde am Ende des Ortes den Einstieg zum historisch bedeutsamen, alten Gaichtpassweg. Die topologisch bedingte schwere Erreichbarkeit des Tals hat der Passstraße schon früh eine besondere Bedeutung zukommen lassen. Um 1540 wurde zum ersten Mal eine Straße angelegt, die länger als einen Winter (Schneeschmelze) hielt. Sie wurde zum Salz- und Weintransport ins Allgäu genutzt und Salzstraße oder auch Hallstraße genannt. Nachdem die Nazis die später gebaute Brücke gesprengt hatten, machten die Alliierten die alte Passstraße wieder befahrbar und so das Tal zugänglich. Heute kümmert sich ein eigener Verein um die Erhaltung dieser beeindruckenden Passstraße, die heute zum Wandern, Mountainbiken und Rodeln genutzt wird.


Unzählige Geschichten säumen den Weg, manche davon sind auf Hinweistafeln festgehalten; jene von den Widerstandskämpfern und Pazifisten der letzten Kriegsjahre, die sich im Talschluss versteckten oder die Nische in der Schlucht in der man fernab von den Wohnbauten die Pesttoten begraben hatte. Der Aufstieg dauert nur eine halbe Stunde, aber er ist schweißtreibend, weil die Felsen bereits Wärme gespeichert haben. Ich versinke in Gedanken an diese Vergangenheit, in der das Leben in einer damals noch entlegeneren Region unvorstellbar hart gewesen sein muss. Ich erreiche die Anhöhe, den Gaichtpass, und das Panorama des verträumten Tannheimer Tals empfängt mich prächtig.

Eine kleine Ortschaft ist schnell passiert und der Weg folgt dem Warpersbach in das almenhafte Hochtal. Gegenüber thronen die Spitzen des Tannheimer Gebirges, die ,Köllenspitze‘ und der ,Gimpel‘.

Das Tal ist anfangs ziemlich schmal und ich beobachte die Motorradgruppen auf der Landstraße. Südlich umgehe ich die Ortschaft Nesselwängle bis der Haldensee auf 1124 Höhenmetern gegen Mittag in Sichtweite kommt.

Für die meisten der vielen Radfahrer wäre das Tal wohl nicht ohne elektrischem Antriebshelfer zu bewältigen. Man mag sich über das manchmal ungestüme Fahrverhalten ärgern, doch es ist schön, dass das E-Zeitalter auch älteren oder weniger fitten Menschen einen solchen Ausflug ermöglicht. Ich umgehe den Haldensee südlich, um am Westufer eine Mittagspause samt erfrischendem Bad einzulegen (gut dass der See deutlich wärmer ist als der Heiterwangersee gestern).


Nach der Mittagspause muss ich beim Weitergehen an Hansi Hinterseers „musikalische Reise durchs Tannheimer Tal“ denken, die ich vor einigen Wochen mit meinem besten Freund im Fernsehen gesehen habe. Was hängen bleibt ist ein Ohrwurm so manch typischer Blasmusikmelodien und Hinterseer-Schlager.

Der Ort Grän mit der Burgschenke und dem Wellnesshotel Engel komplettieren den kitschig schönen Flair der Landschaft. Vom Neunerköpfle starten einige Paragleiter und finden heute eine kräftige Blauthermik während ich an Tannheim vorbei Richtung Westen wandere. Es herrscht das perfekte Wetter, um Heu einzuholen: manche sammeln es loose, andere pressen Ballen und wieder andere sind noch mit dem Wenden beschäftigt. Ich erinnere mich, in die Freundschaftsbücher der Volksschule den Berufswunsch „Bergbauer“ eingetragen zu haben - die Vorstellung lebt hier wieder auf.


Wie der Dialekt ändert sich in diesem Tal auch bereits die Bauweise der Häuser. Die typischen tiroler Massivbauten, nicht selten mit Familienwappen geschmückt die bis ins 13. Jhdt. zurückreichen weichen nun holzbetonten Fassaden, auch Holzschindeln sind hier zu sehen.

Mit einem Rückblick auf ein Tal, dass ich lieben gelernt habe verabschiede ich mich ins empfehlenswerte Alpengasthaus „Post“, nach einem wunderbaren Wegabschnitt. Heute früh die Beine hoch während der Partie Italien vs. Schweiz.
bis morgen!

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