Nachdem ich gestern noch zu lang mit dem Wirt in der Stube gesessen bin, darf ich mich eigentlich nicht wundern, dass ich eine Stunde später aus dem Bett komme. Ich packe beim raschen Frühstück noch zwei Käseweckerl ein und mache mich auf den Weg.

Von Lofer aus folge ich dem Loferbach flussaufwärts Richtung Strub Pass. Wie ein Motor nach dem Kaltstart tue ich mir heute schwer in die Gänge zu kommen. Kurz vor dem Pass steht eine Ruine - es sind die Überreste der Festung Strub, die beim Tiroler Freiheitskampf gegen Napoleon eine Rolle gespielt hat. Anschließend verliere ich langsam wieder an Höhe und wandere ins breiter werdende Strubtal nach Waidring. Ich komme an einer Waldbad/Kneippanlage vorbei und trinke eine Tasse Tee. Hier lässt sich wohl auch der heißeste Sommertag aushalten.


Dem Waldrand entlang schlängelt sich der angenehme Wanderweg weiter Richtung Waidring. Just als ich bei der Kirche ankomme, läuten die Glocken und ich erschrecke ein wenig, als ich bemerke, dass es bereits Mittag ist. Unübersehbar ist außerdem, dass ich mittlerweile im stolzen Tirol angekommen bin..

Eine ähnliche Wegcharakteristik bleibt mir zwei weitere Stunden erhalten. Abseits der Straße folgt der Wanderweg meist dem Waldrand. Während das Wetter von Stunde zu Stunde besser wird und immer mehr Bergflanken und Gipfel frei gibt, rechne ich vor, wann ich in St. Johann in Tirol eintreffen werde.

Nach Erpfendorf, wo es eine nur 40 Jahre alte Kirche gibt, bei deren Bau ein Spagat aus Historismus und Moderne gewagt wurde, trete ich ins immer breiter ausufernde Leukental hinein. Die Streckenführung deckt sich mit einem Radweg, der dem Fluss Großache entlang Richtung Süd-West folgt. Inzwischen ist die Sonne herausgekommen und mit ihr einige Sonntagsspaziergänger. Vor St. Johann lege ich eine Pause ein und verschlinge die in der Früh vorbereiteten Käseweckerl. Kurz darauf verfalle ich wieder in einen gedankenlosen Trott - weitere einenhalb Stunden marschiere ich dem Radweg entlang und passiere so auch die Stadt St. Johann in Tirol. Als sich die Wolken um das Kitzbühler Horn lichten fällt mir auf wie nah ich nun an der berüchtigten ‚Streif‘ bin. Kitzbühel und die Kitzbühler Alpen liegen nur wenige Kilometer südlich von St. Johann. Nach dem Drehkreuz St. Johann schwenke ich wieder Richtung Westen und bestaune die Felskette Niederkaiser, die zum Gebirgsmassiv ‚Wilder Kaiser‘ gehört.

Die Entscheidung bis Ellmau weiterzugehen ist bereits gefallen und der Uhrenvergleich verschafft einen gewissen Zeitdruck. Nichts desto Trotz haben diese Damen natürlich Vorrang am abendlichen Weg “nach Hause“..

Der Weg nach Going verläuft nördlich der Talsohle durch viele Bauernhöfe unterschiedlicher Größe. Der Geruch von Kühen, Stallarbeit und Heu steigt mir in die Nase und löst Erinnerungen an die unzähligen Bauernhofurlaube meiner Kindheit aus - für die ich meinen Eltern heute noch sehr dankbar bin. Die Sonne steht tief im Westen und streift die Wiesen flach. Es ist eine besondere Stimmung und ich bin trotz der einsetzenden Schwere in den Beinen froh, weitergegangen zu sein.

Beim Abstieg ins Tal komme ich an einer großen Weide mit Jungrindern vorbei. Als ich mich dem Zaun nähere laufen und springen sie in meine Richtung und bald ist der ganze Kindergarten vor mir versammelt..

Im Tal angekommen gehe ich am noblen Stanglwirt vorbei, um den sich unfassbar viele Autos jenseits der 100.000 € Marke mit deutschem Kennzeichen drängen - nein, diese Unterkunft ist nichts für mich. Die Untergehende Sonne taucht die inzwischen wolkenlose Spitze des Wilden Kaisers in rot und ich passiere die Ortschaft Going. Inzwischen fühle ich mich sehr müde und die Füße schmerzen. Ich mache einen Blick auf die Uhr und stelle fest, dass der Kilometerzähler bald die 40er Grenze überschreitet. Sobald die Sonne gänzlich verschwunden ist wird es sehr rasch kälter. Nach 18 Uhr treffe ich in Ellmau ein und hole mir konsequenterweise noch einen Pilgerstempel in der Kirche.

Die Beleuchtung trügt: Inzwischen ist es stockdunkel und der wintertouristisch aufgeblähte Ort ist seltsam still. Die meisten, oft riesigen Hotels befinden sich noch in der vorsaisonalen Pause. Ich bin ehrlich gesagt schon ziemlich ausgelaugt und steuere eine der wenigen offenen Unterkünfte an.
Als ich wenig später beim Abendessen sitze, präsentiert mir die Sportuhr eine ziemlich beeindruckende Zusammenfassung und ich bin sicher, dass ich heute ganz tief schlafen werde...

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