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Etappe 109 - Palas de Rei nach Boente

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Die Herberge San Marco ist groß, modern renoviert und bietet neben den größeren Schlafsälen auch ordentliche Zweibettzimmer an; was es allerdings nicht gibt, ist ein Frühstück. Daher ziehen viele Hungrige morgens zur gleichen Zeit auf der Suche nach einem Frühstück los. Wir betreten eines der wenigen geöffneten Lokale und ich reihe mich in eine Schlange von Wartenden ein. Wenige Minuten der Beobachtung reichen aus um festzustellen, dass hier unterbesetzt, zudem aber auch sehr ineffizient gearbeitet wird. Etwa 25 Minuten dauert es, bis ich zwei Spiegeleier, 2 Scheiben getoastetes Weißbrot und zwei Heißgetränke bekomme. Während wir unser kleines Frühstück essen sehe ich an der Bar jemanden bereits ein gut gemeintes Achterl Rotwein hinunterkippen. Der Mann macht trotzdem den Eindruck, als wollte er heute einige Kilometer auf dem Camino zurücklegen.


„Will denn hier sonst niemand ein bisserl früher aufstehen, um ein einfaches Frühstück zu servieren?“, frage ich ein wenig verärgert, als wir uns auf den Weg machen. Jeden Morgen suchen hier ein paar hundert Leute etwas zu Essen, man müsste nur aufsperren.


Wir verlassen Palas de Rei, biegen bald von der Landstraße ab und wandern über kleine Straßen und Güterwege. Jeder Bauernhof in der Gegend verfügt über einen seperat stehenden und erhöhten Schuppen. Die kleinen Anbauten weisen eine längliche Form auf und sind außen luftig mit Holzlatten gedeckt. Wir haben gestern bereits gegrübelt, welchen Zweck die hohen, kleinen „Schupfen“ wohl haben könnten? Ich habe an Taubenkäfige, wie sie in Frankreich üblich waren, oder an Hühnerhäuser gedacht. Eine Internetrecherche gibt Aufschluss: Es handelt sich hierbei um sogenannte Horreos (lat. horreum), die zur Aufbewahrung von Feldfrüchten wie zum Beispiel Mais, also in der Funktion ähnlich eines bei uns bekannten Getreidespeichers genutzt wurden. Verbreitet ist die Bauform des Horreos in Nordportugal (genannt espigueiro) und in den spanischen Provinzen Asturien, Galicien, Kantabrien und Navarra.

Eine weitere Besonderheit betrifft die Flora in dieser Region. Erst als Julia den intensiven Geruch wahrnimmt, forschen wir nach und erfahren, dass sich der, aus Australien und Südamerika eingeschleppte Eukalyptusbaum hier verbreitet hat. Das Holz wird zur Papiergewinnung und zum Möbelbau verwendet. Eukalyptuswälder stellen allerdings ein zunehmendes, ökologisches Problem dar, weil sie heimische Arten verdrängen und als Tiefwurzler den Grundwasserspiegel senken.

Der Weg ist heute angenehm zu gehen und die Zeit vergeht fließend. Mir fällt auf, dass ich mich tagsüber mehr nach der Helligkeit als nach der Uhrzeit richte und zudem nach über drei Wochen des Pilgerns jeglichen Wochenrhythmus verloren habe. Schlafen, wenn es dunkel ist - Richtung Westen gehen, wenn es hell ist: so einfach ist das Konzept.

Seit der Camino ab Sarria ein touristisches Großereignis geworden ist, sind an manchen Stellen auch die Folgen des enormen Andrangs zu sehen. Mistkübel sind überfüllt und beim „austreten“ in den Wald oder das Gebüsch muss man manchmal aufpassen, nicht in die Notdurft eines Anderen zu treten. Für den Fall, dass die Zahl der Pilger wie in den letzten Jahren weiter ansteigt, sollte man sich seitens der Regionalverwaltungen unbedingt infrastrukturelle Maßnahmen überlegen.

Nach ungefähr 15 Tageskilometern überschreiten wir in Furelos den gleichnamigen Fluss und kurz darauf taucht die Kleinstadt Melide auf einem Hügel auf.

Am Stadtrand gehen wir an diesem beeindruckenden Graffiti-Kunstwerk vorbei. Von dieser Verschönerung der Fassade abgesehen sind viele Gebäude in einem renovierungsbedürftigen Zustand.

Wir haben in dem Wegführer von Raimund Joos gelesen, dass der Ort Melide besonders für das Gericht „pulpo“ bekannt ist. Die galicische Spezialität ist gekochter Octopus, der mit Öl, Salz und scharfem Paprikapulver angemacht und serviert wird. Wir lassen uns die Gelegenheit nicht entgehen, suchen eine der sogenannten „pulperias“ auf und bestellen das Traditionsgericht samt gebratenen pimentos (kleine grüne Paprika) und einer Flasche Weißwein.

Das innere Fleisch schmeckt gut und zart, die Konsistenz der Außenhaut mögen wir dagegen nicht besonders. Trotzdem ist der Besuch der pulperia ein Genuss und Erlebnis (die Kraken werden in riesigen Töpfen im Eingangsbereich des Restaurants gekocht und zubereitet). Danach wir setzen unseren Weg, beschwingt von ein paar Gläsern Wein, fort.


Bei der Kirche von Melide treffen wir auf eine Gruppe Steirer mittleren Alters, mit denen wir bereits am Vormittag ein paar Takte geplaudert haben. Sie sind gut gelaunt, arbeiten großteils ebenfalls im medizinischen Bereich und schließlich findet man sich auf diesem Weg immer etwas zu besprechen.

So gelangen wir in den Vorort Santa Maria und besuchen die gleichnamige Kirche. Das romanische Gebäude, eher ein Kirchlein, stammt aus dem 11. Jahrhundert und weist in der Apsis schöne, farbige Malereien auf.

Ein rustikaler, dennoch interessanter Raum ist außerdem die Sakristei, wo auch das Taufbecken steht.

Im Wanderführer lese ich, dass die Kirche trotz des beeindruckenden Alters auf eine zuvor keltische Tradition der Fruchtbarkeitsverehrung zurückgeht. Die Öffnung der alten Kirche, diesem besonderen Ort, ist ausschließlich Freiwilligen zu verdanken.

In der Zwischenzeit findet die Sonne immer wieder kleine Lücken in der Wolkendecke und wärmt Gesicht und Gemüt. Wir entscheiden uns an einer Weggabelung den Markierungen mit der Aufschrift „contemplario“ zu folgen und genießen einen schönen, sonnigen und vor allem einsamen Wegabschnitt, abseits der stetigen Pilgerprozession.

An der Stelle, wo die Wegvarianten wieder aufeinander treffen, bietet eine Dame frisches Obst und Getränke in einem kleinen Stand an. Direkt neben dem Jausentisch steht ein rosafarbener Fiat Cinquecento als Blickfänger. Es ist traurig, dass ein Hinweisschild notwendig ist, um manche Leute davon abzuhalten, sich auf die Motorhaube zu setzen oder auf das Dach des Autos zu stellen.

Wir verabschieden uns von der Gruppe Österreicher, die wir hier erneut scherzend angetroffen haben, mit dem Versprechen, sie in den kommenden Tagen nochmals zu sehen und spazieren den letzten Kilometer zum Dorf Boente, das heute unser Etappenziel ist.

Abseits einer der vielfrequentierten Ortschaften habe ich eine schöne, kleine Pension reserviert. Das kürzlich renovierte Haus befindet sich in ruhiger Lage und der Gastgeber Thomas begrüßt uns auf Deutsch.

Abends sind wir die einzigen, die das Angebot eines hausgemachten Essens annehmen. Kürbiscremesuppe, Quiche und Nachspeise - zuletzt ein paar Minuten im Hängesessel auf dem Balkon: hier fehlt es an Nichts.

Innerlich spüre und weiß ich, dass sich diese Reise langsam dem Ende zu neigt. Das ist ein eigenartiges Gefühl, und doch macht es mich nicht unruhig. Was ich bisher nicht entdeckt und gelernt habe, das wird sich kaum auf den letzten Metern offenbaren: Ich habe nicht das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben. Morgen möchte ich mir Zeit nehmen, um nachzudenken, in mich hinein zu hören, das Erlebte zu reflektieren und mich im Innersten auf die Ankunft in Santiago vorzubereiten. Was bedeutet diese Ankunft? Wo komme ich an?

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