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Etappe 103 - Ponferrada nach Villafranca del Bierzo

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Aktualisiert: 17. Mai 2024

Ich möchte nicht jeden Morgen sudern, aber fern des eigenen, gewohnten Bettes ist es gar nicht so einfach, einen wirklich idealen Schlafplatz zu ergattern - auch wenn man sich für die Suche und Wahl der Unterkünfte viel Zeit nimmt. Neben der Ferienwohnung befindet sich ein kleines Krankenhaus, auf dessen Hof im Abstand von zirka 15 Minuten ein lautes Gebläse oder ein Generator anläuft. Das Geräusch weckt micht Nachts ein paar Mal, aber ich schlafe recht schnell wieder ein.


Um kurz vor 8 trete ich vor die Tür und mache die ersten Schritte an der großen Templerburg vorbei ins Stadtzentrum hinein. Offenbar hat es in den frühen Morgenstunden bereits geregnet, denn die Straßen sind nass und außerdem fast menschenleer.


Außerhalb der Altstadt ist Ponferrada wenig ansehnlich. Ich schreite suchend eine Hauptstraße ab und finde eine Bäckerei, verliere gleichzeitig aber die Camino-Route. Es dauert ein wenig, bis ich die gelben Muschelsymbole wieder gefunden habe. Ich komme bei einer großen Schule vorbei, mache einen Blick auf die Uhr und stelle erneut fest: in Spanien tut sich vor 9 Uhr grundsätzlich gar nichts.

Ich stelle mich darauf ein, im Nahbereich der Stadt wieder unschöne Streckenabschnitte durchlaufen zu müssen und akzeptiere das auch.


Nachdem die Autobahnen und das E-Werk hinter mir liegen, folgen ein paar kleine Ortschaften, die auch kein allzu gutes Bild mehr abgeben. Es beginnt zu nieseln und dann leicht zu regnen, was zusätzlich dazu beiträgt, den Kopf zu senken und den Blick eher auf den Boden fallen zu lassen.

Auf den spanischen Zuruf zweier älterer Damen bleibe ich abrupt bei der Kirche in Camponaraya stehen, lasse meinen Pilgerpass gegen ein „Körberlgeld“ stempeln und schaue mir kurz die Kirche an. Über dem Nebenaltar wölbt sich eine recht passend beleuchtete Kuppel, doch sowohl die Malereien als auch die Jesusfigur über dem Taufbecken sind mir zu kitschig. Der Hang zu möglichst lebensechten und theatralischen religiösen Darstellungen ist mir in Spanien schon öfter aufgefallen.

Eine weitere Autobahn ist zu überqueren und ich stelle mich gerade innerlich darauf ein, dass der Weg heute nicht mehr besser werden würde; da stehe ich hinter einem Hügel plötzlich inmitten von Weingärten. Anstatt einer enttäuschten Erwartungshaltung kommt Freude über eine landschaftlich reizvolle zweite Etappenhälfte auf.

Ich bin bei der Durchsicht der Fotos ein wenig verblüfft, sind doch nur ganz selten andere Pilger auf den Aufnahmen zu sehen. Meine Wahrnehmung tagsüber ist, dass ich in meinem Sichtfeld meist zumindest eine Handvoll Wanderer sehen kann. Laute Italiener und Spanier, häufig in Gruppen geschart; in sich gekehrte, leise Asiaten; ältere Ehepaare oder gute Freunde - und ungefähr ein Drittel der Fußreisenden sind wie ich alleine unterwegs. Ich lasse mir durch den Kopf gehen, wie viele zigtausende paar Fuße diese Wege schon beschritten haben und werde demütig.


In Cacabelos kehre ich in einem Cafe ein, lege die nasse Jacke ab und bestelle einen Espresso. Der Kaffee ist - wie leider so oft - sauer und nur mit viel Zucker trinkbar. Die Pause ist kurz, aber sie tut mir gut.

Am Ortsausgang komme ich bei dieser riesigen Weinpresse vorbei. Sie macht auf die Weinbautradition in der Gegend aufmerksam und mich verblüfft, seit wann und mit welch immensem Aufwand die Menschen bereits damit beschäftigt sind, einen „guten Tropfen zu keltern“ oder - anders ausgedrückt - etwas „zum saufen“ zu haben.

Als ein kleiner Hügel erklommen ist, wähle ich ohne zu zögern den Weg, der nicht der Landstraße folgt, auch wenn er um 2 Kilometer länger ist. Jetzt setzt kräftiger Regen ein, doch selbst der stört mich heute kaum. Ich bin froh, wieder unterwegs zu sein, habe die Freude an dem Projekt wieder gefunden und male mir aus, wie die Ankunft in Santiago wohl sein, wie es sich anfühlen wird? Ich notiere einige Gedanken für mich selbst.

Der Boden ist rot, lehmig und er wird in Verbindung mit dem Regen rutschig. Wenige Tage zuvor habe ich Landstreifen gesehen, die an Kargheit kaum zu überbieten waren, hier aber ist der Boden fruchtbar. Die alternative Route, für die sich nur wenige andere Pilger entschieden haben, ist ebenfalls gut beschildert.

In den Weingärten werden trotz des Regens gerade Spritzmittel ausgebracht. Der Weinbauer dieses Gartens hat als erste und letzte Pflanze im Spalier eine Rose gepflanzt. In dem heutigen Grün und Grau bieten die rosa Blütenköpfe einen herrlichen Kontrast.

Wenige Kilometer zuvor habe ich ein Schild gesehen; demnach sind es nun weniger als 200 Kilometer bis nach Santiago. Jetzt beginnt also langsam das „herunterrechnen“. Mein heutiger Tag ist noch etwa 3,3 Kilomter, also ungefähr 40 Minuten lang.

Der Weg in den Ort Villafranca del Bierzo führt direkt an der „Albergue Municipal“, also der „öffentlichen Herberge“ vorbei. Ich bin froh, dass ich daran vorbeigehen kann.

Um exakt 2 Uhr Nachmittags komme ich wie geplant bei dem gebuchten Hostel an. Ich mag es, wenn am Nachmittag noch genug Zeit ist, sich auszuruhen und vielleicht in aller Ruhe die Stadt zu besichtigen.

Der Nachmittag bleibt verregnet und mache nur einen kurzen Sprung zum Supermarkt, um für den Abend und auch für morgen einzukaufen.

Gegen halb 8 Uhr abends hört es überraschend auf zu regnen und innerhalb kurzer Zeit lockert es sogar auf. Ich ziehe etwas warmes an und gehe noch ein paar Schritte durch das Dorf.


Villafranca del Bierzo, was tatsächlich soviel bedeutet wie „Franken-Ort im Bierzo“, wird auch „das kleine Compostella“ genannt. Zu Zeiten des Ablasshandels wurde Pilgern, die ihre Wallfahrt aufgrund von Krankheit abbrechen mussten, bereits hier ihre Sündenstrafe erlassen. Die damalige Bedeutung des Ortes ließ hier zahlreiche Pilgerhospitäler, eine Burg aus dem 16. Jahrhundert und mehere große Kirchen entstehen. Beim Versuch, eine dieser Gotteshäuser zu besuchen, stand ich heute leider 3 Mal vor verschlossenen Toren.

Der Gedanke, tatsächlich für den Erlass von Sünden zu bezahlen, kommt mir alt und heute völlig absurd vor. Mit welcher Drohgebärde die Kirche damals Druck auf die Menschen gemacht hat, will ich mir gar nicht vorstellen.


Villafranca del Bierzo hat jedenfalls seine allerbesten Zeiten auch schon hinter sich. Viele Häuser sind baufällig und am Hauptplatz klafft ein großes Loch, das ein abgerissenes Haus hinterlassen hat.

Ich bin zufrieden mit dem Tag und freue mich auf morgen, wenn ich den sogenannten „Camino duro“ in Angriff nehmen kann.

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