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Etappe 102 - El Acebo de San Miguel nach Ponferrada

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Aktualisiert: 17. Mai 2024

Ich werde wach, als meine Pilgerkollegen gegen 7 Uhr das Haus verlassen und aufbrechen, drehe mich aber um und schlafe noch eine gute Stunde weiter. Das ist auch gut so, denn nach dem Bier gestern hat es gedauert, bis der Körper Nachts Ruhe gefunden hat.


Mein Tagesziel ist die Stadt Ponferrada. Für die etwa 15 Kilometer habe ich samt Pausen dreienhalb Stunden eingeplant, weshalb ich völlig entspannt und lange beim Frühstück sitzen bleibe.


Bevor ich El Acebo verlasse, schlupfe ich durch den kleinen Kircheneingang, halte kurz inne und bedanke mich für den gestrigen Tag.

Ein Wanderpfad führt zum Teil steil bergab zu dem Dorf Riego de Ambros, das sehr ursprünglich, leider aber auch sehr verlassen aussieht.

An der Seitenwand einer kleinen Kapelle schaue ich mir den Übergang zwischen der natürlichen Steinstruktur und der direkt daraufgesetzten Mauer an. Der Strukturwechsel gefällt mir.

Weitere etwa 400 Höhenmeter sind über einen schmalen Pfad durch das sogenannte „Nachtigallental“ abzusteigen. Es ist ruhig, immer wieder etwas schattig und die Vegetation blüht auf. Auffällig sind vor allem die nach Weihrauch duftenden Zistrosen. (Das musste ich freilich nachlesen…)

Ich bin nach einem Impuls aus dem Podcast „Die Pfarrerstöchter“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ in Gedanken über das Gebet vertieft. Was bedeutet beten?


Sprachlich kommt der Ausdruck wohl vom Wort „bitten“, also „um etwas bitten“. In dem Gespräch der beiden Pfarrerstöchter werden viele Arten des Gebets aus ganz unterschiedlichen Zeitepochen beispielhaft vorgelesen. „Klassische Gebete“ wie jene des Franz von Assisi, aber auch Texte des Philosophen Kierkegaard oder Lyrik von Rilke. So unterschiedlich und manchmal unerkennbar Gebete auch sein können, was nutzen sie - frage ich mich, und was unterscheidet sie von einem Wunschbrief ans Christkind?


Ich persönlich glaube, dass Gebete wirken: Unabhängig davon, ob sie an jemanden (Gott) adressiert sind, oder nicht; die eingehende Beschäftigung mit einem Wunsch oder einer Bitte macht einen Weg zu dem Ziel manchmal erst sichtbar oder möglich. Dazu hilft dieser geistige Impuls, dieser „Logos“. Was in materiellen Belangen zweifellos sinnvoll ist (zuerst das Ziel, dann der Plan dorthin), scheint mir auch für geistige Anliegen ein gutes Konzept zu sein.

In der Ortschaft Molinaseca übersetze ich den Rio Meruelo und spaziere dann durch die enge Calle Real, die alte Pilgerstraße, die das Ortszentrum bildet.

Der Rest der etwa 7 Kilometer langen Strecke nach Ponferrada ist öd und führt einige Zeit einer stark befahrenen Straße entlang. An unübersichtlichen Stellen überqueren Pilger den Verkehrsweg und ich muss mich vorsehen, nicht wieder innerlich zu schimpfen anzufangen. Da es schwer ist, die unansehnlichen und grauen Streckenteile fotografisch festzuhalten, sucht mein Auge nach anderen Details und wird in einer stadtnahen Siedlung bei vielen schönen Rosenstöcken fündig.

Ich erreiche Ponferrada und suche eine kleine zuvor gebuchte Wohnung auf, die einfach per Schlüsselsafe zu öffnen ist. Die Wohnung ist hell, sauber und verfügt sogar über eine Waschmaschine - ideal für Pilger!

Nach dem Ankommen möchte ich mir gleich etwas zu essen holen und mache mich zu einer kleinen Pizzeria auf. Auf dem Weg dorthin treffe ich James aus Australien, den Jakob und ich vor fast 2 Wochen abends getroffen haben. Der Mann ist eine Wucht von Freundlichkeit und positiver Energie, ich freue mich sehr ihn wiederzusehen und wir tauschen uns darüber aus, wie es uns in der Zwischenzeit ergangen ist. „Have a great time and Buen Camino, mate!“, verabschiede ich mich.

Die Pizza ist richtig gut. Ich lege die Beine hoch und verfolge das spannende Finale der 9. Giro-Etappe mit grandiosen Bildern vom Golf von Neapel. Nach der Ruhezeit möchte ich mich noch kurz mit der Stadt beschäftigen.


Ponferrada zählt etwa 60.000 Einwohner und ist die Hauptstadt der Region Bierzo - ein fruchtbares Gebiet, das, von Bergen eingebettet, zwischen Kastillien und Galicien liegt.


Das auffälligste und größte Bauwerk der Stadt ist die Templerburg, die nur 2 Minuten Fußweg von meiner Unterkunft entfernt liegt. Auf dem Vorplatz treffe ich auf diese lebensgroße Figur, deren Anblick mich verstört; erinnert die spitze Mütze doch an den rassistischen Ku-Klux-Klan. Ich lese nach und erfahre, dass die Kleidungsform nichts mit den abscheulichen amerikanischen Gruppen zu tun hat, sondern während der, hier üblichen großen Prozessionen in der Karwoche (Semana Santa) getragen wird.

Die Burg wurde im 12. und 13. Jahrhundert erbaut und gilt als eines der bedeutendsten Zeugnisse mittelalterlicher Militärarchitektur in Spanien. Die monströse Anlage sieht aus wie aus der Zeit gefallen. Eine so gut erhaltene Burg habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

Es ist zwar schon halb 7 Uhr abends, aber die Sonne steht noch sehr hoch und heizt die Luft kräftig an. Ich steige auf einen der Türme hinauf und genieße den Ausblick. Die mittelalterliche Anlage, die ringsum liegende Stadt und die im Hintergrund ruhenden Berge bilden eine beeindruckende Szenerie.

In Schatten einer der massiven Mauern setze ich mich und lese ein paar Zeilen über den Templerorden nach. Der Orden mit dem markanten roten Kreuz auf weißem Hintergrund als Wappen wurde 1118 gegründet, wuchs schnell und kontrollierte schon bald das Finanz- und Transportwesen der christlichen Welt. Die Templer, Ritter und Mönche zugleich, machten es sich zur Aufgabe, die heiligen Stätten und Pilgerwege zu schützen. Der große Einfluss des Templerordens war dem französischen König Philipp IV schließlich ein Dorn im Auge und er brachte den Papst dazu, den Orden zu verbieten. Um den Templerorden ranken sich nicht zuletzt auch aufgrund der geheimnisvollen Rituale zahlreiche Legenden.

Während des langen Rundgangs über die Mauern und Türme steht für mich nicht die Geschichte des Ordens, sondern der Ausblick über die Stadt und das Umland, sowie ein Gefühl für diesen Ort im Vordergrund. Es sieht in Wahrheit noch viel großartiger aus, als es die Fotos erahnen lassen.


Abends wage ich einen Vorausblick über die Etappen bis Santiago und bin mit meiner Dokumentation beschäftigt. Jetzt freue ich mich schon auf einen erholsamen Schlaf!


Buenas Noches!

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