Zur Feier der 100. Etappe seit meinem Start in Wien schenke ich mir selbst eine Auszeit. Der Gedanke, „jeden einzelnen Schritt“ bis nach Santiago zu Fuß gegangen zu sein, hat zwar seinen Reiz, doch dieses ambitionierte Ziel stelle ich nicht über die eigene Gesundheit. Eindrucksvoll, ja sogar beängstigend hat mir der Körper klar gemacht, dass er Ruhe braucht und mir damit ein Stoppschild aufgestellt.
Ich nehme mir im Klosterhotel San Zolio die Zeit, die letzten Etappen Revue passieren zu lassen und stelle fest, dass ich von einigen Teilen des spanischen Weges letztlich enttäuscht bin. Der Camino Frances, der Jakobsweg durch Spanien, ist weltbekannt und daher habe ich auch einen gepflegten Weg, schöne Routen und eine informative Aufbereitung der jahrhundertealten Geschichte erwartet. Das war nur spärlich zu finden.
Jeder, der hier unterwegs ist, geht seinen eigenen Weg und jeder geht seinen Weg auch auf eine eigene Art. Ich möchte niemandem das Erlebnis oder das hier Erlebte madig reden. Für mich persönlich sind die zermürbenden, endlos geradeaus führenden Streckenabschnitte neben den Landstraßen nichts erstrebenswertes; ich kann nichts davon „mitnehmen“. Ich finde meinen inneren, meditativen Rhythmus auch ohne diese maximale Fadesse und zum stumpfen Leiden bin ich hier auch nicht hergekommen.
Zu der Entscheidung, die Strecke bis Leon mit dem Auto zurückzulegen, musste ich mich trotzdem ein wenig durchringen; als sie aber gefallen ist, war ich sehr zufrieden damit.
Mit diesen Gedanken warte ich nach dem Ausschlafen vor der Klosteranlage auf Monica, die auf ihrem Arbeitsweg nach Leon auf der Plattform „blablacar“ eine Mitfahrgelegenheit angeboten hat. Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, denn eine öffentliche Verbindung nach Leon wäre mit sehr langem Fahraufwand verbunden gewesen.

In Leon spaziere ich an der Kathedrale vorbei und checke in ein großes Hotel mit dem klingenden Namen „Occidental León Alfonso V“ ein. Zum Angebotspreis habe ich eine kleine Suite ergattert, wo ich mich nun ordentlich ausruhen werde.

Zwei ganze Tage verbringe ich hier. Von kurzen Spaziergängen durch die Stadt abgesehen schlafe ich lang, esse viel, schaue mir die Etappen des Giro d‘Italia an und trage die letzten beiden Etappen nach.

Große Stadtrundgänge und Besichtigungen vermeide ich, wären sie doch der Regeneration wiederum nicht zuträglich. Die Ausnahme ist der Besuch der Kathedrale von Leon. Das Monumentalgebäude aus dem 13./14. Jahrhundert wurde im Stil der französischen Gotik erbaut und gilt als eine der schönsten Kathedralen Spaniens.

Das Bauwerk ist atemberaubend groß, hoch und schön. Besonders gefällt mir das, durch die vielen bunten Fenster einfallende Licht. Viele christliche Bauwerke dieser Größe wirken im Innenraum so dunkel, dieses ist eine tolle, lichtdurchflutete Ausnahme.

Meine Bewunderung von Kreuzgängen habe ich zuletzt erst beschrieben. Auch hier gehe ich einige langsame Runden durch das große Quadrat.



Die Zeit in Leon vergeht rasch und ich spüre, wie der Körper indes langsam wieder zu Kräften findet. „Sleep is our Superpower“, erinnere ich mich an eine Aussage imzuge eines „TED-Talks“.
Das bekräftigt mich in meiner Entscheidung: Kaum etwas ist wichtiger, als auf den eigenen Körper und Geist Acht zu geben. Wir haben nur den einen!
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