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Heimreise und Rückblick auf ein Monat Pilgern in Frankreich

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Mit ein paar Tagen Abstand nehme ich mir nun Zeit, um die Rückreise und das Erlebte der letzten Wochen zusammenzufassen.


 

Im zentralistisch organisierten Frankreich laufen praktisch alle Wege über die Hauptstadt Paris. Mein Reiseplan sieht daher folgendermaßen aus: Ein Regionalzug bringt mich nach Bordeaux, wo ich in den TGV nach Paris umsteige. Hier habe ich einige Stunden Zeit, um durch die Stadt zu spazieren und steige dann in den Nightjet der ÖBB, der direkt nach Wien fährt.


Die Fahrt nach Paris verläuft schnell und sehr angenehm. Ohne Zwischenhalte und mit 300 km/h düst der TGV durch die flache Landschaft der Atlantikküste entlang nordwärts - solche Zugverbindungen wünsche ich mir zwischen allen europäischen Hauptstädten, Schluss mit der Kurzstrecken-Fliegerei!


Auf die Minute pünktlich läuft der Zug um 10 Uhr in einem der sechs Pariser Kopfbahnhöfe 'Gare de Paris-Montparnasse' ein. Ich verlasse den hektischen Bahnhof und trete nach draußen. Kühl und windig ist es, ich muss sogar die Regenjacke aus dem Rucksack holen. Im Zug habe ich noch geprüft, ob ich ein Restplatzticket für das Tennisturnier Rolland Garros ergattern kann, doch die Karten für dieses lange Wochenende sind alle verkauft. So plane ich eine große Spazierrunde durch die französische Hauptstadt und wandere in gewohntem Tempo los.

Von Beginn an verspüre ich ein eigenartiges Unwohlsein. Die Metropole ist so groß, so unruhig, so laut und verkehrsgeladen, und gibt ein Tempo vor, an das ich nicht mehr gewohnt bin. Hier spielt sich alles in ganz anderen Dimensionen ab: Die Häuser sind hoch, der Verkehr dicht und die Straßenzüge schier endlos lang. Ich halte mich an die Grünflächen und Parks, die etwas mehr Ruhe ausstrahlen und mir vertrauter sind. So erreiche ich den Invalidendom, die Grabstätte des Kaisers Napoleon I., und wenig später den weltberühmten Eiffelturm. Ich erinnere mich plötzlich an meine einzige bisherige Reise nach Paris vor ungefähr 10 Jahren. Damals haben Hanna und ich das Interrailticket genutzt und einige europäische Hauptstädte bereist.


Das Wahrzeichen von Paris, der Aussichtsturm, der anlässlich der Weltausstellung im Jahr 1889 erbaut wurde, ist ein schlicht beeindruckendes Bauwerk.

Ich rumrunde den Eisengigant mit einigem Abstand und komme an der Warteschlange derjenigen vorbei, die auf den Turm hinauf wollen. Eine Informationstafel zeigt die geschätzte Wartezeit mit 3 Stunden an: Wahnsinn, denke ich mir, und schreite die Warteschlange ab. Das Gedränge ist mir sehr unangenehm, ich gehe auf die andere Seite der Seine und steige zur Flusspromenade hinunter. Dort stelle ich meinen Rucksack ab, trinke etwas und lasse die Eindrücke sacken. Natürlich habe ich Verständnis: jeder Besucher möchte einmal auf den Eiffelturm hinauf, möchte ein Foto mit dem weltberühmten Bauwerk, oder ein Schloss mit den gemeinsamen Initialen in der "Stadt der Liebe" platzieren...

Ein Stückweit gehe ich der Seine entlang, dann orientierte ich mich Richtung Norden zum Triumphbogen und der Prachtstraße, der Avenue des Champs Elysees. Beim Merchandise-Verkaufsstand mit Rolland-Garros Artikeln betrete ich die Passage, mit der man den 8-spurigen Kreisverkehr unterquert und schon stehe ich unter einem weiteren ikonischen Gebäude von Paris. Der Stolz der "Grande Nation", hier wird er spürbar. Eine gigantische Frankreich-Flagge weht mittig unterhalb des Bogens.

Den Plan, die Champs Elysees in der gesamten Länge von fast 2 Kilometern zwischen dem Place Charles-de-Gaulle und dem Place de la Concorde abzuschreiten verwerfe ich bald. Das lange Wochenende hat wohl viele Städtetouristen angelockt, dazu kommt das erwähnte Tennisturnier und auch das morgen stattfindende Champions-League Finale. Insbesondere auf der Prachtstraße mit ihren vielen Geschäften und Cafes wird der Ansturm an Touristen deutlich: Überall haben sich lange Schlangen mit wartenden Kunden oder Besuchern gebildet, selbst vor einem öffentlichen WC muss ich heute beinahe eine halbe Stunde warten! Ich bin in dieser Umgebung ziemlich überfordert. Hatte ich in den letzten Wochen täglich vielleicht 50 Menschen getroffen, so finde ich die selbe Menge heute auf wenigen Quadratmetern.


Ich distanziere mich, spaziere am Elyseespalast vorbei, durch Seitengassen und Parks bis zum Jardin des Tuileries, der an den Place de la Concorde anschließt. Hier tue ich es einigen anderen gleich, lasse mich auf den breiten Mauern nieder, die den Garten umgeben, und beobachte das Treiben.

Ich stelle die weitere Route zusammen und mache beim Verlassen des Barockgartens ein Foto, dass ich praktisch genauso schon vor 10 Jahren gemacht habe.

Der nächste Anlaufpunkt ist die L'eglise de la Madeleine, eine Kirche im griechischen Tempelstil. Nach einem zufälligen, musikalischen Erlebnis beim letzten Parisbesuch hat dieser Ort eine ganz besondere emotionale Bedeutung für mich. Erinnerung und Gegenwart verbinden sich zu einem überwältigenden Moment. In meinem Ohr klingt die Musik von "Fields of Gold" in der Version von Eva Cassidy nach.

Ich habe genug Zeit und bleibe lange in der Kirche sitzen.


Inzwischen hat sich das Wetter gebessert, es ist sonnig und heiter: Paris zeigt sich von der schönsten Seite. Die herrschaftlichen Häuser mit hohen Dachgeschossen, die langen Alleen und gepflegten Parks - ohne jeglichen Zweifel: Es ist eine wunderschöne Stadt!



Ich übersetze die Seine wieder an das südliche Ufer und gehe bis zur 'Ile de la Cite', jener Insel, auf der die bekannte Kathedrale Notre-Dame de Paris steht. Nach dem verheerenden Brand im April 2019 ist das berühmte Gebäude großräumig abgesperrt und ringsum in Baugerüste gehüllt. Auf den Zäunen sind Bilder der Schäden und des laufenden Wiederaufbaus zu sehen. Insbesondere der hölzerne Dachstuhl und der Vierungsturm wurden bei dem Brand vollständig zerstört.


Warm ist es inzwischen geworden. Ich lasse mich durch die Gassen treiben, hole mir im jüdischen Viertel ein hervorragendes Falafel-Pita und gehe dann Richtung Norden, um den Ost-Bahnhof (Gare de l-Est) zu erreichen. Aus meinem ausgedehnten Stadtspaziergang ist schließlich auch ein Tag mit 20 Fußkilometern geworden.

Auf dem Bahnhof habe ich noch genug Zeit, Getränke und Snacks für die Reise zu besorgen. Ich bin gespannt auf meine erste Zugfahrt im Schlafwagen und gleichzeitig froh, dass mein Platz im Zug nicht geändert wurde - wie es einigen anderen widerfahren ist.

Ich teile das Schlafabteil mit einem kürzlich pensionierten Gerichtspfleger und einem gleichaltrigen Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden aus dem Bundesland Kärnten. Wir kommen gut ins Gespräch, stoßen mit einem kleinen Sekt an und haben in den Abendstunden noch einige tolle Ausblicke auf die französische Landschaft bei abendlicher Lichtstimmung.

Nachdem ich den ganzen Tag zu Fuß unterwegs war und zeitweise am Nachmittag doch ins schwitzen gekommen bin, dusche ich mich in unserem kleinen Bad. Das ist zwar eng und während der Zugbewegung ein bisschen gewöhnungsbedürftig, klappt aber eigentlich ganz gut. Gegen 22.00 bitten wir unseren Zugbegleiter, den Umbau des Abteils vorzunehmen und legen uns anschließend ins Bett. Es braucht einige Zeit, bis ich einschlafe - doch nach dem langen Tag und der langen Reise bin ich müde genug, um einzudösen.

Optimal ist der Schlaf im Nachtzug natürlich nicht, aber die Zeit vergeht schnell: Ich würde wieder so reisen. Um 8 Uhr werden wir geweckt und nach dem Rückbau unseres Abteils wird das gestern ausgewählte Frühstück serviert. Die restliche Fahrtzeit beträgt nun gerade einmal zwei Stunden.


Der blaue Zug erreicht Meidling, dann den Hauptbahnhof und es ist so weit: Nach genau einem Monat steige ich wieder in meiner Heimatstadt Wien aus. Es ist ein ganz eigenwilliges Gefühl, aber die Freude, anzukommen überwiegt.


 

Inzwischen sind ein paar Tage vergangen, ich hatte ein wenig Zeit, mich an meine Heimat Wien und an meine Wohnung zu gewöhnen, habe Freunde und Familie wieder getroffen. Ich muss zugeben, dass ich mir dieses Mal mit der Rückkehr in den "normalen" Rhythmus schwer tue, und versuche gerade noch herauszufinden, woran das genau liegt. Morgen beginnt mit dem ersten Arbeitstag wieder ein Alltag, dessen flotter Takt wahrscheinlich viele Gedanken zur Seite schiebt. Bevor es soweit ist hier noch einige abschließende Gedanken zum Pilgern in Frankreich.



1. Das Allermeiste hat super geklappt - dafür bin ich sehr dankbar!

Diese Feststellung muss an erster Stelle stehen, insbesondere deshalb, weil die eine oder andere Erinnerung sonst sehr kritisch klingt. Für die Dauer und Größe der Aufgabe gab es verhältnismäßig nur kleine Probleme: Psyche und Physis haben der Belastung gut Stand gehalten, von Krankheit und Unfall waren wir verschont, die Ausrüstung ist inzwischen gut erprobt und zwischenmenschlich gab es trotz intensiven Situationen keine Zerwürfnisse. All das ist nicht selbstverständlich: Ich sage DANKE!


2. Ab Le Puy-en-Velay ist der Jakobsweg "spürbar"

Bis zu der Pilger- und Wallfahrtsstadt Le Puy-en-Velay war ich als Pilger weitgehend alleine, häufig musste ich Einheimischen entlang der Route mein Vorhaben erklären und selten waren die Begegnungen mit Gleichgesinnten. Dieser Umstand mag auch ein wenig an den schwierigen Reiseumständen der letzten beiden Jahre gelegen haben. Mit dem Beginn der Via Podiensis, dem historischen Teil des Weges nach Santiago de Compostella, ändert sich das "Alleinesein" jedoch schlagartig: Habe ich bis Le Puy insgesamt vielleicht 20 andere Pilger in Österreich und der Schweiz getroffen, so brachen Julia und ich eines Sonntags mit etwa 300 Pilgern von der Stadt in Mittelfrankreich auf. Herbergen, Wasserstellen, eigens eingerichtete Jausenstationen und andere Infrastruktur sind seither deutlich häufiger aufzufinden. Der Kontakt zu den anderen Pilgern ist spannend, in vielen Fällen aber aufgrund der meist ausgeprägten Sprachbarriere schwierig. Wie bereits erwähnt ist der typische Pilger hier 1. Franzose, 2. kürzlich in den Ruhestand übergetreten und ist 3. nicht in der Lage Englisch zu sprechen. (trifft auf schätzungsweise 80% der Reisenden zu) Die schlagartige Zunahme der Pilgerzahl bedeutet zwar, dass man in jedem Dorf jemanden mit Rucksack sehen kann, nicht jedoch, dass man in einer Karawane wandern muss: Tagsüber teilt sich die Menschenmenge mit unterschiedlichen Gehgeschwindigkeiten schnell über das weite Land auf.


3. Frankreich ist ein beeindruckendes und stolzes Land

Die Schönheit der Gegenden, die wir meist zu Zweit durchwandert haben, war zutiefst beeindruckend. Unterschiedlichste, spezielle Naturlandschaften wie das Aubrac-Hochland, malerische Dörfer mit Steinhäusern und jahrhundertealte Kathedralen fallen mir dabei als erstes ein. Immer wieder habe ich mir gedacht: "Hier wäre ich sonst wohl nie in meinem Leben vorbeigekommen!". Der Weg durch Frankreich ist zu einer abwechslungsreichen Entdeckungsreise geworden und ich bin gespannt, was auf dem Weg bis zu den Pyrenäen noch auf mich wartet. Zu Frankreich gehört jedenfalls der Genuss, der auch bei dieser Reise nicht zu kurz gekommen ist. Fulminante Menüs mit mehreren Gängen und familiäre Abendessen mit toller Hausmannskost, eine unendliche Auswahl an Käsen aller Art, schwere Buttercroissants, Baguette zu jeder Zeit und natürlich Rotwein - zu fast jedem Anlass. Bei der französischen Kulinarik ist es immer wieder gelungen, die vielen verbrauchten Kalorien wieder aufzunehmen. Zwei Dinge, die ich an der "grande nation" schwierig gefunden habe sind einerseits das erwähnte Sprachproblem und andererseits die Tatsache, dass es kein einziges Mal die Wahlmöglichkeit eines vegetarischen Hauptgerichts gegeben hat.



1007 Kilometer - das ist die Distanz, die auf dem Weg nach Santiago de Compostella noch vor mir liegt. Ich rechne damit, für den französischen Teil noch etwa 10 und den spanischen Teil vielleicht 35 Tage zu benötigen... doch noch ganz schön weit! Höre ich in mich hinein, dann spüre ich, dass ich noch etwas mehr Zeit brauche, um das Erlebte einzuordnen und den alten Rhythmus wieder aufzunehmen. Ich bin mir aber sicher, dass es nicht lange dauern wird, bis ich über die Planung des nächsten oder vielleicht finalen Abschnitts nachzudenken beginne.


Bis dahin sage ich danke für das Dabeisein! Lasst mir gerne Feedback über die Seite oder auf persönlichen Wegen zukommen.


Liebe Grüße,


simon

113 Ansichten1 Kommentar

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1 Comment


Hermann Exenberger
Hermann Exenberger
Jun 04, 2022

Geschätzter S i m o n ,

größer könnte wohl der Unterschied zu den bisherigen Etappen nicht sein.

Einerseits die Schönheit der Natur, der Landschaft der Gebäude und Kirchen , der Flüsse und der Denkmäler und andererseits Paris, eine meiner Traumstädte.

Sehr beeindruckt hat mich , dass du auch in der wunderbaren Stadt zu Fuß unterwegs warst und somit

20 Km gegangen bist.

Ich denke auch weil ich es bei dir lesen an meine TGV Zugreise zurück, unvergesslich mit über 300 KM Geschwindigkeit im Zug zu sitzen und in 2 Stunden ca. 500 Km zurück zulegen.

Sehr beeindruckt haben mich auch deine Schlussbemerkungen : Das Allermeiste hat super geklappt....

Ja Simon ich bleibt schon bei meiner Feststellung: " Reisen als…

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