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Etappe 99 - Frómista nach Carrión de los Condes

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Aktualisiert: 10. Mai 2024

Gestern Abend war ich wirklich froh, dass der Tag ein Ende gefunden hat. Im Wissen, wie nah Körper und Geist gestern ans aushaltbare Limit geraten sind, habe ich den Wecker erst auf 8 Uhr gestellt und daher fast 10 Stunden geschlafen. Das hat sehr gut getan. Ich bin beeindruckt, wie großartig der Körper die Belastungen eines Tages in der Nacht ausgleichen kann. Jedenfalls fühle ich mich viel besser und packe meine Sachen wie gehabt in den Rucksack ein.


Der Tag beginnt mit einem Besuch bei der Bäckerei, wo ich ordentlich einkaufe. Ich habe mich entschieden, die für heute geplanten etwa 20 Kilometer noch zu gehen und dann vermutlich eine Pause einzulegen.


Da ich heute besonders damit beschäftigt bin, in mich hineinzuhören, nehme ich die Kirche San Martin, die als eine der ersten und besonders schönen romanischen Sakralbauten Spaniens im Wegführer beschrieben wird, kaum wahr.

Nachts kühlt es hier noch auf angenehme Temperaturen unter 10 Grad ab, tagsüber wird es bald warm. Unter dem heute strahlend blauen Himmel geht das besonders schnell. Die ersten Takte des Gehens zeigen bereits an, wie der Großteil des Tages verlaufen würde.

Nach zirka einer Stunde ödem Tritt neben der Landstraße erreiche ich das Dorf Poblacion de Campos. Auf einer Hauswand hat jemand diesen Feuersalamander gemalt und ich bin ein wenig überrascht, dass er hier heimisch ist. Die Darstellung des Amphibientiers erinnert mich an die Schneebergbahn, auf deren Lokomotiven und Wagons es ebenfalls zu sehen ist.

Am Ortsende zeigen zwei Schilder „a Santiago“ in entgegengesetzte Richtungen. Ich lese kurz in meinem Wanderführer nach und entscheide mich ganz eindeutig für die Variante, die dem Rio Ucieza entlangführt. Zwar verläuft der Weg hier zunächst auch lange geradeaus, aber die Alternative wären weitere 10 Kilometer neben der Straße gewesen: eine einfache Wahl.


Die gewählte Wegvariante gefällt mir bald sogar ganz gut: Immer wieder taucht der Weg in den Schatten der großen Bäume ein und der Wasserlauf ist Anziehungspunkt und Lebensraum für viele Vögel, deren zwitscherndem Konzert ich gerne lausche.

Bevor der Weg aus dem Grünen wieder auf die Straße einbiegt, ist noch dieser gepflegte, alte Jeep zu bestaunen.

Auf meinen Energiehaushalt bedacht, nutze ich den Vorplatz einer seltsam zu- und umgebauten Kirche, um eine Pause zu machen und meine Jause zu essen.

Kurze Zeit später erreiche ich über die Straße als Zubringer das Dorf Villalcazar de Sirga, wo ich meine Wasserflasche auffülle. Die Kirche Santa Maria la Blanca steht am Hauptplatz und nachdem mir nur noch etwa 6 Kilometer bis zum Ziel fehlen, nehme ich mir auch hier die Zeit für einen kurzen Besuch. Immer öfter ist es jetzt Usus, den Pilgern und anderen Besuchern beim Eintritt in die Kirche ein paar Euro abzunehmen. Ich will mich da gar nicht beschweren und freue mich auch, wenn die imposanten Bauwerke erhalten werden. Ob das das Ziel und Zweck der kleinen Collectae ist, bezweifle ich aber.


Die Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert und damit aus dem Übergang der Romanik zur Gotik, lese ich da. Außerdem sei das Gebäude der Rest eines ehemalig großen Templerklosters. Licht fällt ästhetisch in den Innenraum während ich einen langsamen und bedächtigen Rundgang mache.

Ich trete wieder ins Freie und will meinen Weg fortsetzen. Eine, bei Speis und Trank sitzende Pilgerfigur regt mich zum Nachdenken an. Wie sieht es mit meiner Rast und Ernährung in den letzten beiden Wochen aus?

Von hier an brettern wir Pilger wieder erbarmungslos über eine Schotterautobahn. Das Ende dieser endlosen Geraden ist am Horizont nicht zu sehen und das Gefühl, mit dieser Aussicht vor sich hin zu trotten, ist kaum zu beschreiben.

Als ich unter der hoch stehenden Sonne in Carrion de los Condes ankomme, bin ich wirklich froh, die letzten Meter vor der Pause hinter mich gebracht zu haben. Im Supermarkt hole ich mir eine kalte Coladose und Snacks, und weiters ein paar Postkarten in der Stadt.

Während ich das reservierte Hotel suche und durch den Ort gehe, spüre ich, dass 20 Kilometer heute definitiv genug waren.

Eine Brücke über den Rio Carrion bringt mich zum Ortsausgang, wo das Kloster San Zolio steht. In dem Renaissancebau ist heute ein Hotel untergebracht und ich bin froh, dass ich noch ein Zimmer bekommen habe. An Orten wie diesem, zwischen ganz alten Mauern schlafen zu dürfen, ist für mich ein besonderes Geschenk. Es ist ein ruhiger Empfang: Im Hintergrund sind leise die Stimmen eines Choralgesanges zu hören.


Ich komme an, dusche mich und esse im Gartenrestaurant ein paar Erdäpfel mit scharfer Sauce. Danach nehme ich mir Zeit, die Anlage zu besichtigen. Die Kosterräume, Kirche und der Kreuzgang sind nur für Pilger und Hotelgäste zugänglich; entsprechend ruhig ist es hier.

Ein ganz besonderer Ort ist der Kreuzgang. Die Ruhe, die der Innenhof und die Klostermauern ausstrahlen, ist eine Wohltat. Während ich ein paar langsame Runden in dem Quadrat gehe, fällt mir auf, wie gut sich dieser Platz zum nachdenken eignet. Immer wieder ändert sich die Richtung, der Blickwinkel, der Wandschmuck und der Lichteinfall: der mittig plazierte Brunnen und Baum verharren im Zentrum. Analog dazu kann man sich innerlich darauf einlassen, einen Gedanken aus verschiedenen Seiten und Winkeln zu beleuchten und zu betrachten.

Nach ausführlicher Reflexion über die letzten beiden Wochen und den negativen Erlebnissen gestern ordne ich, was in meiner Situation im Zentrum steht.


Mein Körper ist mein Tempel,

ich muss ihn pflegen mein Leben lang.


Ich entscheide mich, dem Körper die Zeit zu geben, die er zur Regeneration braucht und weiters, dass ich die folgenden Streckenteile zumindest bis Leon auslassen werde. Mein fehlendes Wohlbefinden und die stumpfe Streckenführung drohen sonst, das gesamte, bisher wunderbare Projekt in eine unzufriedene und dunkle Ecke zu ziehen. Das ist es mir nicht wert.

Mein Zimmer liegt im zweiten Stock und ist über einen Rundgang erreichbar, der über dem Kreuzgang liegt. Überall ist es ganz ruhig und ich genieße es.

Abends drehe ich noch eine Runde im Garten und telefoniere nach Wien. Wenig später sehe ich von meinem Zimmer aus die Sonne untergehen und lege mich früh ins Bett.


Ich bin froh über die getroffenen Entscheidungen, buche ein großes Zimmer in Leon und organisiere eine Mitfahrt über die Fahrtenbörse „blablacar“. Dann falle ich in einen tiefen und langen Schlaf.


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