Die Pension Los Arcos ist zweckmäßig und sauber, unser Zimmer im zweiten Stock blickt sogar Richtung Kirchturm. Doch es ist wie verflixt: Die heutige Nachtruhe wird von einem nicht endenwollenden Hundebellen ab 4 Uhr morgens gestört. Das Kläffen ist so laut und penetrant, dass das halbe Dorf davon wach geworden sein muss.
Wir verzichten auf das Frühstück im Haus und machen einen kurzen Zwischenstop in der Bäckerei. Wir erinnern uns an die drei philippinischen Gäste, die gestern nach uns eingecheckt haben. Sie hatten große Mühe, die über 25kg schweren Koffer in ihre Zimmer zu hieven. Beim Abendessen haben wir sie dann in feiner Abendgarderobe und mit reichlich Schminke gesehen… Komfort ja, aber ob das noch etwas mit „pilgern“ zu tun hat?

Die Sonne blinzelt kaum hinter der Kirche von Los Arcos hervor, als wir das Dorf verlassen. Der Himmel ist bereits wolkenlos, doch die Morgentemperaturen liegen im niedrigen einstelligen Bereich.

Wir haben vereinbart, den ganzen Tag getrennt zu gehen und so verschwindet Jakobs oranger Rucksack bald am Horizont der schier endlos langen Geraden. Ich und die Wanderer um mich herum tragen einen langen Schatten der hinter uns aufgehenden Sonne vor uns her. Es fällt mir heute schwer, zur Ruhe zu kommen. Insbesondere in der Früh höre ich sensibel in meinen Körper hinein: Ein vermeintlich kleines Zwicken oder Reiben kann sich über den langen Tag hinweg zu einem ausgewachsenen Problem entwickeln.

Von einem oberflächlichen Schnitt im kleinen Finger, der im Kontakt mit Schweiß zu brennen beginnt abgesehen, ist jedoch alles in Ordnung und ich erreiche bald den Ort Sansol.

Viele bleiben für ein zweites Frühstück oder einen Kaffee stehen, doch ich gehe weiter. Am Ortsausgang beschäftigt eine junge Einheimische ihren jungen und verspielten Mally-Hund und ich steige in einen Graben hinab.

Am Gegenhang schließt unmittelbar eine weitere Ortschaft mit dem klingenden Namen Torres del Rio an. Die gelben Pfeile des Camino weisen den Weg durch die steilen Gassen. Um die achteckige, romanische Kirche herrscht das geschäftige Flattern der im Sims nistenden Schwalben.

Ich fülle meine Wasserflasche auf, esse einige Nüsse und Haribo-Bärchen und mache mich wieder auf den Weg. Spätestens jetzt ist es Zeit, die Weste im Rucksack zu verstauen.
Die folgende Strecke wird im Jakobswegführer als „zermürbend“ beschrieben, mir gefällt sie aber eigentlich ganz gut. Es ist ein munteres Auf- und Ab zwischen noch tiefgrünen Getreidefeldern und niedrig kultivierten Weingärten. Der nun wieder fließende Gedankenstrom lässt mich über die Bedeutung des Gründonnerstags nachdenken. Ich halte diesen Tag für den zweitwichtigsten christlichen Feiertag, soll er doch Beispiel und Zeugnis dafür geben, dass der Dienst am Nächsten und das Bilden von Gemeinschaft einen ganz zentralen Stellenwert haben soll.
„Da er die Seinen, die in dieser Welt waren, liebte,
erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.“
Passion nach Johannes 13,1
Dieser Satz begleitet mich einige Zeit lang. Unterdessen schlängelt sich die Kette von Jakobspilgern einen Hang entlang und fädelt sich dann auf einer langen Landstraße auf, die den Blick auf die Stadt Viana frei gibt.

Die etwa 3.000 Einwohner zählende Siedlung Viana liegt majestetisch auf einem Hügel.

Gemeinsam mit einer Jugendgruppe, vermutlich 2-3 Schulklassen aus Frankreich, erreiche ich pünktlich mit den Mittagsglocken das Ortsschild. In den engen Gassen ist es schattig und vergleichsweise kühl. In einem kleinen Pilgergeschäft kaufe ich eine Trinkblase samt Schlauchsystem, damit ich regelmäßig und ohne Abstellen des Rucksacks Wasser trinken kann.
Die Kirche Santa Maria ist in ein Baugerüst gehüllt, jedoch trotzdem geöffnet. Im Inneren ist es still und ich lasse meinen Pilgerpass von einer herzlichen alten Dame abstempeln.

Der Empfehlung meines Trinksystemverkäufers folgend, fülle ich den Plastikbeutel an der Fontäne am geschäftigen Hauptplatz auf und bin dann gezwungen, meinen Rucksack umzupacken, damit der neue Wasserspeicher darin Platz findet.


Bevor ich die charmanten Gassen von Viana verlasse, besuche ich noch die Ruine der Kirche San Pedro und steige dann durch ein Stadttor hügelabwärts. Während es auf dem schattenlosen Weg nun wirklich heiß geworden ist, beobachte ich ein Naturschauspiel, wie ich es noch nie gesehen habe. Mindestens 50 große Raubvögel drehen sich in der Thermik über mir wie Paragleiter kreisförmig nach oben. Ich bin beeindruckt.
Bei der Kapelle Virgen de Cuevas treffe ich gemeinsam mit einem Pärchen aus Brasilien ein. Hier ist was los: Viele Kinder spielen am Vorplatz und im nebenliegenden Park wird gegrillt.

Als die letzten Tageskilometer beginnen, anstrengend zu werden, spreche ich zwei junge Mädls an und versuche anhand der Sprache ihre Herkunft zu erraten. Die hellhäutigen Däninnen erzählen, dass sie die Hitze aus ihrer Heimat nicht gewöhnt sind und heute bereits ein wenig darunter leiden. Wir queren mit einer Brücke die A12 und verkürzen uns gegenseitig den von nunan wenig spannenden Weg bis zum Ortseingang von Logrono mit Gesprächen über ihr Gap-Year, die Ausbildung, das Wetter und die weitere Wegplanung am Camino.


Nach 28 Kilometern ist Logrono erreicht und ich finde Jakob im Schatten eines Baumes dösend. Er erzählt, einen recht leichtfüßigen Tag gehabt zu haben, und ich pflichte ihm bei: Eigentlich ist es wirklich gut gelaufen heute.

Eine große Brücke über den Fluss Elbros führt uns in die älteste Straße der Stadt: die Ruavieja sirga peregrinal. Damit sei auch die Entstehungsgeschichte und Relevanz der Stadt als Station am Jakobsweg bereits erklärt, lesen wir im Reiseführer. Davon abgesehen sei Logrono, das im 10.Jhdt. von den Mauren erobert wurde und später an Kastilien fiel, historisch sowie kunsthistorisch eher unbedeutend.

Wir beziehen unser Hotel im Stadtzentrum und begeben uns dann auf einen kleinen Spaziergang. Direkt vor der geschlossenen Kirche Santa Maria de la Rendonda lassen wir uns in einer Bar nieder und stoßen auf einen guten Tag an. Danach ziehen wir nochmals los und probieren uns an diesem lauen Abend durch einige Tapas-Bars.

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