Es ist 19:15 als ich mich gerade an die Tastatur setze. Das Hotelzimmer ist eingecheckt, meine Wäsche gewaschen, die notwendigen ca. 3 Liter Wasser bzw. saurer Radler getrunken, ein Burger ist verspeist und das Quartier für morgen reserviert. Ich bin froh, den heutigen Tag geschafft zu haben und jetzt in Ruhe beim Traunsee sitzen zu können.

Es gibt diese Vorhaben, die man mit breiter Brust plant und dann, wenn es soweit ist, doch etwas unsicher wird, ob das so eine gute Idee war. Ähnlich ist es mir heute Morgen ergangen. Der Wecker läutet um 05:45 - denn ich weiß: heute müssen es mehr Kilometer werden als sonst. Die ersten Sonnenstrahlen fallen schon auf die Fassade der Stiftskirche als ich den Gästebereich der Abtei verlasse.

Erfreulicherweise hat die Bäckerei in Kremsmünster bereits offen und sogar schon gefüllte Weckerl zum Verkauf. Nachdem es heute den Karten nach mit Verpflegung eher mager aussehen dürfte, decke ich mich mit Proviant ein.
Zunächst folge ich dann dem Radweg sürdwärts und erklimme die knapp 100 Höhenmeter auf den Helmberg, der sich in einen Hügelrücken nach Westen fortsetzt. Am Ende dieser Erhebung steige ich ins Tal ab und komme nach Ried im Traunkreis - hier wird es spätestens Zeit für ein Frühstück.

Man kann den Kirchgängern vieles vorwerfen (angeblich nehmen sich viele davon die Sonntagszeitung aus den Sackerln ohne zu zahlen ;) ) - offen und gutherzig sind sie hier allenfalls. Oft werde ich nach meinem Vorhaben gefragt und versprochen, mich ins Gebet miteinzuschließen. Als ich mein Tagespensum fortsetze, muss ich darüber nachdenken und schmunzeln, wie viel positive Energie diese Achtsamkeit im Stande ist zu erzeugen.
Nur etwa 5 km südlich des Voralpenkreues (A1/A8/A9) passiere ich die Pyhrnautobahn. Danach folgt ein mildes auf und ab, ein Zick-Zack zwischen den Bauernhöfen. Inzwischen bin ich ein Profi darin, am Geruch zu erkennen, welche Tiere im nächsten Hof gehalten werden...


Der Weg führt leider fast ausschließlich über Asphaltwege - was langsam aber sicher die Rückkehr der Knieproblematik provoziert. Eine weitere Lektion drängt sich auf: Pausen, insbesondere Trinkpausen, gilt es zu machen, wo sie anfallen. Soll heißen: wenn sich eine Bank, ein Platz im Schatten oder Ähnliches ergibt, dann will er genutzt werden - man sollte dann nicht streng nach der nächsten 2-Stunden Pause gehen. Einer dieser Plätze fand sich bei dieser Marienkapelle:

Gegen 11:30 treffe ich auf den Fluss „Alm“, schaue auf die Uhr und bin recht zufrieden, bereits 20,5 km zurückgelegt zu haben. Es folgt das Abstreifen der Schuhe und Socken, Eintauchen der geschwollenen Füße ins kalt-klare Wasser und der Genuss des gefüllten Weckerls aus Kremsmünster - es schmeckt wie eines der Besten die ich je hatte.. was natürlich am Hunger liegen könnte ;)

Zufrieden lege ich mich auf die Steine und drifte für etwa 15 Minuten in einen Halbschlaf ab. Als ich aufwache, wird es Zeit, den Rest der Tagesstrecke zu prüfen. Die Lücke in der Vorbereitung führt zu einem fehlenden Kartenstück und so danke ich der - sonst oft zu recht kritisierten Technik des 21. Jahrhunderts. Der Zielpunkt wird ins Handy eingegeben, die Strecke berechnet und direkt auf die Uhr übertragen: 2 Minuten später bin ich mit digitaler Navigation bereits wieder am Weg. Was mir einen Dämpfer verpasst: es sind wie befürchtet noch etwa 17 weitere Kilometer.

Bis Kilometer 30 kenne ich die Prozedur und Belastung - danach wird es allerdings wirklich hart heute. Regelmäßige Flüssigkeitsaufnahme und Durchbeissen - anders kann mans nicht beschreiben.

Heute schatten Wolken die Sonne zwar weitgehend ab, aber die Luft ist aufgeladen, labil und fühlt sich sehr schwer an. Just während ich mich die letzten Höhenmeter über einen Hügel hochkämpfe treffe ich auf einen alten Herren samt kleinem Hund „Nelly“. Er geht langsam aber stetig den doch sehr steilen Hügel hinauf und macht den Eindruck, nur rasten zu wollen wenn es sein muss. Ich hole ihn ein und wir geraten in ein kurzes, sehr nettes Gespräch. Er erzählt, dass es früher ein sehr ambitionierter Bergsteiger war, der keine schwierige Wand ausgelassen hat. Heute jedoch schränkt ihn seine Herzleistung von etwa 30% so hochgradig ein, dass er kaum noch der Hügel heraufkommt. Nelly macht eine Rolle für ein Leckerli, der Mann scheint erfreut und ich bin beim Weitergehen dankbar für das Gespräch. Vor mir taucht der Traunstein auf - ich kenne diesen ganz besonderen Berg von einer Tour mit meinem Papa als ich 9, 10, vielleicht 11 Jahre alt war.

Analog zu den Gedanken zur möglichen Überforderung anfangs möchte ich mit der gegenteiligen Emotion schließen. Während ich unterwegs bin habe ich mir bereits das eine oder andere Mal vorgestellt, wie sich der Blick auf die Kirche von Santiago de Compostella wohl anfühlen würde. Mich überkommt eine Gänsehaut und beinahe die eine oder andere Träne, so unerreichbar fühlt sich dIeses große Ziel an. Doch es sind nicht nur die Lebensziele, die größten Hoffnungen und Träume - Erfüllung und das folgende, persönlich erbauende Glücksgefühl liegt in so vielen kleinen Etappenzielen, Zwischenschritten und Vorhaben. Der alte Mann hat eine große Freude damit, mit seinem Hund ein paar hundert Meter spazieren gehen zu können und ich bin äußerst froh, hier am Traunsee zu sitzen und mein Tagesziel erreicht zu haben. Sich bei diesen Zielen gegenseitig zu unterstützen ist ein großer Dienst.
Ich schließe mit einem Foto aus dem Fenster meines Hotels (ja, das ist meine Belohnung für heute ;) ).
Gute Nacht und bis Morgen!
simon

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