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Etappe 105 - Las Herrerías nach Viduedo

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Aktualisiert: 17. Mai 2024

Ein harter Tag liegt hinter mir. Soeben habe ich in dem kleinen Dorf, in dem ich heute schlafen werde, nach einer ausreichenden Internetverbindung gesucht, um die paar Fotos endlich auf den Server hochladen zu können und jetzt kann ich mit der heutigen Zusammenfassung beginnen.


Die vergangene Nacht ist bereits ziemlich mühsam gewesen. Obwohl ich nichts Aufregendes und nicht spät gegessen habe, quälen mich Magenschmerzen und lassen mich bis nach 2 Uhr wach liegen. Ich stelle nachts meinen Wecker eine Stunde später als zunächst geplant, wache aber aufgrund der hellhörigen Wände trotzdem um halb 7 auf. Eine Stunde döse ich noch so dahin, während der Regen auf das kleine Dachflächenfenster tröpfelt: es ist beinahe eine Morgenmeditation. Dann stehe ich auf, packe meinen Rucksack und setze mich zum Frühstück.


In dem gut gefüllten Frühstücksraum brennt ein Kaminfeuer und ich habe den Eindruck, dass ich nicht der einzige bin, der den Schritt ins kalte Nass hinauszögert. Kurz darauf höre ich drei ältere Damen den Kellner fragen, ob er ihnen ein Taxi rufen könne? „Alle ausgebucht, da müssen Sie etwa 3 Stunden warten…“, lautet die Antwort.


Frühstück und die Ruhe am Morgen haben die bescheidene Nacht offenbar wettgemacht, denn ich fühle mich ganz gut und denke nicht daran, auf ein Taxi zu warten.


Auf den ersten Metern wird schnell klar, dass heute wieder ein Tag der Haube und der kurzen Pausen gekommen ist, denn es ist wirklich kalt. Der Weg zweigt von der Landstraße ab, verjüngt sich zunehmend und durchläuft noch 2 kleine Weiler. Die Kamera nehme ich das erste Mal zur Hand, als buschige und schöne Ringelblumen in einem Vorgarten auftauchen.

Als ich den gelben Pfeilen folgend in einen steil ansteigenden Hohlweg einbiege, beginnt es kräftig zu regnen. Heute ist nicht nur ein Tag der Haube, sondern auch der Gamaschen und Schuh-Überzieher, wie ich sie vor allem bei asiatischen Pilgern gesehen habe. In der Mitte des Hohlweges hat sich ein kleiner Bach gebildet und die erste Schlammschlacht des Tages hat begonnen. Während ich gleichzeitig von außen wie auch von innen her nass werde, springe ich flott von Stein zu Stein und überhole einige Leidensgenossen, die hier sichtlich schwer zu kämpfen haben.


Nach den ersten etwa 250 schweißtreibenden Höhenmetern flacht der Weg ein wenig ab und wie aus dem Nichts reißt zwischen den Wolken ein Sonnenfenster auf. Ich bleibe kurz stehen und genieße die Sonne im Gesicht.

An der tänzelnden Art, die Schritte zu setzen, ändert sich zunächst nichts: über diese Feldwege werden die Kühe zur Weide getrieben und der Regen hat eine homogene Mischung aus aufgeweichter Erde und Kuhfladen entstehen lassen. Mit konzentriertem Blick und windgeschützter Kopfhaltung kämpfen wir Taxiverweigerer uns den Hügel hinauf.


Hinter einem kleinen Dorf wird der Untergrund endlich steing und sandiger, was den Aufstieg deutlich erleichtert. Ich fühle mich gut und komme rasch voran. Wenige hundert Meter vor dem Pass schaue ich zurück und freue mich noch einmal über Sonnenstrahlen.

Ein Grenzstein macht darauf aufmerksam, dass man nun die Region Galicien betritt. Der Nordwesten der spanischen Halbinsel ist geprägt von hügeliger Landschaft, die kaum größere Landwirtschaft zulässt, und einem relativ feuchten Klima, das ich heute zu spüren bekomme. Besiedelt war die Gegend bereits in vorrömischer Zeit von Kelten, wovon heute noch einige Traditionen, wie das Dudelsackspiel, zeugen.

Von weitem höre ich eine Melodie und vermute einen kleinen Imbiss- und Getränkestand, wie man sie entlang des Camino immer wieder findet; als ich näher komme, sehe ich aber einen alten Mann, der die Pilger mit seinem Dudelsackspiel auf den Anhöhe von „O Cebreiro“ willkommen heißt. Diese brummenden und zugleich quietschenden Töne erheitern mich und ich bedanke mich mit einem Körberlgeld.


O Cebreiro liegt auf 1.300 Metern Höhe und ist ein charmantes Dorf, in dem noch „pallozas“ zu finden sind. Die runden Steinhäuser mit einem Strohdach gehen auf eine alte keltische Bautradtion zurück.

Ich gehe der Steinmauer entlang, die die Kirche von der Straße abtrennt und bin wieder einmal davon fasziniert, wie sich Pflanzen an den widrigsten Orten ansiedeln können.

Ein ruhiger Innenhof umgibt die Kirche, die ich nun betrete. Im Inneren ist es angenehm warm und es riecht nach Kerzenwachs; ich fühle mich sofort wohl und willkommen. Statt eines mehrstöckigen, goldenen Hauptaltars ist eine schlichte Darstellung des Gekreuzigten zu sehen. Die beidseitige Beleuchtung wirft die Schatten so an die Rückwand, dass man meinen könnte, die beiden mit ihm Gekreuzigten wahrzunehmen.

Die vielen Kerzen und die warme Beleuchtung sorgen für eine sehr angenehme Atmosphäre. Als ich die Fotos nun in der Nachbetrachtung sehe, wünsche ich mir, ich hätte mehr Zeit an diesem Ort verbracht.

Ich habe gerade einen „guten Tritt“ und nehme daher bald wieder Bewegung auf. Währenddessen schaue ich mich in dem charmanten Dorf um.

Der Camino verläuft nun einige Zeit parallel zur Landstraße, allerdings - als hätte jemand meine Klage gehört - mit einem angemessenen Abstand und mit Pflanzen ab Abtrennung dazwischen. War das so schwer? Es ist sehr angenehm, hier zu gehen.

Kurz nach Mittag schließt sich das Sonnenfenster und es setzt Nieselregen ein. Zudem frischt der Wind auf und peitscht mir das kalte Nass ins Gesicht. Ich kehre in einer kleinen Bar ein und trinke einen Stehkaffee (das Bestellen eines Espresso könnte ich mir angesichts der Qualität nun wirklich abgewöhnen).


Die kleinen Dörfer, die ich im Anschluss passiere, sind verlassen und die Kirchen sind zugesperrt.

Seit O Cebreiro ist es ein unwesentliches auf und ab gewesen, jetzt erreiche ich den letzten Pass für heute. Ich blicke zurück, nehme dieses Foto auf und nur wenige Augenblicke später ist der gesamte Hügel von tief liegenden Wolken umhüllt.

Auf der Anhöhe „Alto do Poio“ herrscht reger Betrieb. Eine Gruppe junger Amerikaner drängt sich zitternd in eine der beiden überfüllten Bars. Die Burschen tragen Jogginghosen, durchnässte Pullover und darüber dünne Ponchos - einer hat sogar Sandalen an!


Ich überlege kurz, mich ebenfalls hier aufzuwärmen, entscheide mich aber dagegen; schließlich ist es bei dem Andrang aussichtslos, das nasse Gewand zu trocknen. Es bleibt bei einer Kurzvisite, um den Pass abzustempeln und ich versuche, den Körper auf Betriebstemperatur zu halten.

Ich trotze den widrigen Umständen und weigere mich, meine gute Stimmung aufzugeben. Zeitweise ist die hohe Luftfeuchtigkeit vom Nieseln gar nicht mehr zu unterscheiden und vor allem ist es bitterkalt. Ich bin so froh, Handschuhe eingepackt zu haben und nehme mir fest vor, sie beim Wandern nie wieder zu Hause zu lassen: diese 5 Gramm Ausrüstung sind heute sehr viel wert!


Auf den restlichen Kilometern bis zum Etappenziel denke ich erneut über die gesamte Reise nach, reflektiere Situationen und Begegnungen und notiere mir einige Stichworte.


Als es für einen Augenblick heller wird, fällt mir die grünliche Farbe des Gesteins auf, über das ich flotten Schrittes dahinwandere.

Ich freue mich bereits auf eine warme Dusche, als kurz vor dem heutigen Ziel in Viduedo ein weiterer Regenguss vorüberzieht. Dem nicht genug, entwickelt sich der Regen zu einem heftigen Graupelschauer.

In dem milchigen Dunst der Wolken kann ich zwar die Ortschaft noch nicht sehen, den Kilometerrechnungen nach kann es sich aber nur noch um wenige hundert Meter handeln.

Endlich ist das heutige Ziel erreicht. Gerade als ich ankomme, halten zwei Kleinbusse vor der Herberge und eine asiatische Gruppe läuft vom Auto zur Türe der Bar. Ich beziehe ein rustikales, aber sehr sauberes Zimmer und genieße eine heiße Dusche.

Vor dem Abendessen lerne ich einen Belgier und ein australisches Ehepaar kennen. Der Mann aus der Nähe von Lüttich ist den ganzen Weg hierher zu Fuß gegangen. Wir tauschen uns über die Erfahrungen aus und sprechen insbesondere über das Pilgern in Frankreich.


Bevor ich mich jetzt ins Bett lege, musste ich mich noch ziemlich ärgern und Überstunden machen: Der halbe Text dieses Beitrags ist mir zwischenzeitlich aufgrund eines Systemabsturzes verloren gegangen. Naja - auch an Tagen, die es einem an vielen Ecken und Enden schwer machen ist es wichtig, weiterzugehen. Ich gehe trotz allem sehr zufrieden schlafen.


Buenas Noches!

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