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Etappe 104 - Villafranca de Bierzo nach Las Herrerías

Autorenbild: Simon ExenbergerSimon Exenberger

Aktualisiert: 17. Mai 2024

Ausgeschlafen und motiviert starte ich die 105. Tagesetappe in Villafranca. Nach einer verregneten Nacht ist alles triefend nass, in der Früh werde ich allerdings von blauem Himmel überrascht. Im flachen Morgenlicht und bei aufsteigendem Dunst betrete ich diesen wunderbaren Rosengarten.

Es hat deutlich abgekühlt und ich bin bald wieder in Bewegung. Ich verlasse die Stadt über diese mittelalterliche Brücke, an deren Beginn eine Pilgerfigur aus Stein den Weg weist.

Der bekannte deutsche Komiker und Autor des Buches „Ich bin dann mal weg“, Hape Kerkeling beschreibt nach seinem Jakobsweg im Jahr 2001 das Gehen entlang Hauptroute neben der Landstraße als „lebensgefährliche“ Erfahrung. Da brauche ich nicht lange nachzudenken: Selbstverständlich wähle ich die alternative Wegführung über die Hügel, die aufgrund der anfallenden Höhenmeter auch „Camino duro“ („harter Camino“) genannt wird.


Der Weg ist anfangs tatsächlich ziemlich steil und ich komme bei der hohen Luftfeuchtigkeit ordentlich ins Schwitzen. Die Entscheidung war jedenfalls richtig: während der Hauptweg zwischen Autobahn und Landstraße in dem engen Tal einklemmt ist, herrscht hier oben eine wohltuende Ruhe. Nach einer Stunde habe ich den Großteil der knapp 450 Höhenmeter erklommen und schaue auf die Stadt Villafranca del Bierzo zurück.

Während ich auf der Alternativroute unterwegs bin, treffe ich keinen einzigen anderen Pilger. Der Weg ist trotz des immer wieder einsetzenden Nieselregens angenehm zu gehen und es riecht oft nach Lavendel oder Weihrauch; ein Geruch, den ich inzwischen den Zistrosen zuordnen kann.

Ich führe heute Vormittag lange und gute Gespräche mit meinem Papa und meinem Bruder Lorenz - bis der Handyempfang in dieser abgelegenen Gegend abreißt. Das Gesagte geht mir eine ganze Zeit lang durch den Kopf.


Der Camino duro führt mich durch das Dorf Pradela, das besonders abgeschieden und ärmlich wirkt. Ein altes Bauernpaar bearbeitet gerade händisch eines der kleinen Felder, die zum Gemüseanbau genutzt werden.

Ich denke an meine liebe, verstorbene Uroma Maria, die in einem ähnlich kleinen Dorf im Waldviertel aufgewachsen war. Mein Gedächtnis gräbt Erinnerungen aus, als ich ihr vor vielen Jahren als Kind helfen durfte, Beete im Garten des Schubertwegs zu bearbeiten. Sie konnte das gut und hat es bis ins hohe Alter getan. Ihr „Arbeitskleid“ und das Kopftuch, das werde ich nie vergessen. Ich bin dankbar für die gute gemeinsame Zeit, die wir verbringen durften.


Ein kräftiger Wind trägt die Wolken umher und sorgt für einen häufigen Wechsel von Regenphasen und kurzem Sonnenschein. Ich steige von dem Hügel der einsamen „duro“-Variante ins Tal hinab.

Im Tal empfängt mich Trabadelo mit dem süßen Duft dieses prächtigen Rosenbusches.

Die ersten Meter auf dem Hauptweg beweisen, dass meine Wahl in der Früh ohne jeden Zweifel richtig und gut war. Um die „lebensgefährliche“ Situation der Pilger zu entschärfen, hat man sich durchgerungen, eine Betonabsperrung zwischen der Straße und dem „Weg“ einzusetzen. Ich schüttle den Kopf, bemühe mich aber, mich nicht übermäßig zu ärgern.

Etwa eine Dreiviertelstunde später entsteht eine Situation, für die ich jegliches Verständnis verliere. Ich habe mittlerweile gehört, dass man in Spanien aus historisch-konservativen Gründen nicht gewillt ist, die Route des Camino auch nur einen Meter abzuändern: Die Pilgerroute war zuerst da, die Landstraßen, Industriegebiete und Autobahnen sind ungünstigerweise eben später dazugekommen. Ich halte diese Entscheidung für Blödsinn, fehlt doch jegliche Referenz, die diese jahrtausende alte Geschichte spürbar machen würde (zum Beispiel eine alte Römerstraße oder Ähnliches). Gut, damit muss ich mich abfinden, habe ich mir in den letzten Tagen bereits gedacht.


Jetzt passiert das: Der öde Asphaltlauf endet in eine ungesicherte Querung einer Autobahnauffahrt! Ein kleines Hinweisschild mahnt zur Vorsicht: „Achtung: Der Weg verläuft gemeinsam mit der N-6 Straße“

Ich beeile mich, die Straße zu überqueren und kurz danach donnert ein LKW hinter mir vorbei.


Die Routenführung keinesfalls zu ändern ist eine fragwürdige Entscheidung; die Querungen von Landstraßen und Autobahnzubringern jedoch überhaupt nicht abzusichern - bei allem Respekt, aber das hat was „mit dem Schädl zu tun“.

Ich versuche, mich auf andere Gedanken zu bringen, während der Weg weiter der „N-6“ folgt. Dank der Autobahn rollt hier zumindest nur der lokale Verkehr, wodurch es auf der Straße halbwegs ruhig ist.


Kurz bevor ich am Ziel bin nutze ich ein Sonnenfenster und lasse mich auf der Terrasse einer kleinen Bäckerei zu Kaffee und Küchlein nieder.

Viele der Herbergen und kleinen Hotels sind geschlossen, tragen Plakate mit der Aufschrift „SE VENDE“ (zu verkaufen) oder sind gar verlassene Rohbauruinen. Ich kann mir vorstellen, dass die Corona-Pandemie so manchem Gastbetrieb ein wirtschaftliches Ende bereitet hat. Seither ist der Ansturm auf den Camino allerdings wieder voll angelaufen und die Unterkünfte sind knapp. Ganz nachvollziehbar ist das für mich nicht.


Um 14 Uhr erreiche ich ein kleines, aber feines Hotel in der Nähe von Las Herrerias. Ich habe am Nachmittag genug Zeit, mich auszuruhen und dem Prasseln der Regentropfen auf dem Dachflächenfenster zu lauschen. Die erste Hälfte der heutigen Etappe war sehr schön, den zweiten Teil bin ich hauptsächlich froh, hinter mir zu haben.

Morgen ist ein weiterer Bergpass „O Cebreiro“ auf etwa 1.300 Metern zu überwinden, der Weg dorthin sollte erfreulicherweise abseits der Straße führen. Ich bin gespannt!

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